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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass
Autoren: Serhij Zhadan
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veranlasste, die angenehme Konversation abzubrechen, sich von unseren Leuten zu verabschieden und zum Traktor zu stapfen. Nikolaitsch wartete, bis sie sich ihrem stählernen Freund gemächlich genähert, mit ihren Armeestiefeln in seine Reifen getreten hatten und ohne Hast in die Fahrerkabine gestiegen waren. Mit Seitenblicken beobachtete er uns, verfolgte jede unserer Bewegungen. Die Adern an seinem dünnen Hals traten hervor, das Gesicht war blass und angespannt, so stand er da in seinem Tarnanzug – wütend und stinksauer, bereit, seine Wut am ersten Besten auszulassen, der ihm in die Finger käme.
    Koljunja versuchte, den Traktor anzulassen. Der Traktor hustete und spie, ruckelte und machte dann jedes Mal kraftlos schlapp. Koljunja lehnte sich aus dem Kabinenfenster.
    – Lässt sich nicht starten! – rief er Nikolaitsch ärgerlich zu.
    – Dann tu was! – antwortete Nikolaitsch, während er höhnische Blicke in seinem Rücken spürte.
    – Was kann ich denn tun? – regte sich Koljunja auf, ohne die Fahrerkabine zu verlassen.
    – Tu irgendwas! – rief Nikolaitsch. – Bring ihn in Ordnung!
    – Und womit? Mit dem Schwanz?
    Unsere Leute brachen in Gelächter aus. Pascha fiel fast auf Bormann drauf, und Ernst klappte zusammen wie von einem Bauchschlag, Arkadij und Prochor nahmen die Fortsetzung des Theaters freudig und mit wieherndem Gelächter auf.
    Sogar der Versehrte konnte sich nicht beherrschen und lachte kurz auf.
    – Okay, – rief er den Traktoristen zu. – Lasst mich sehen, was los ist.
    – Nein! – Nikolaitsch drehte sich scharf um und streckte warnend die Hand aus. – Bleib wo du bist!
    – Hast du sie nicht mehr alle? – Schura hielt verwundert inne, ging dann aber weiter.
    – Bleib, wo du bist, hab ich gesagt! – wiederholte Nikolaitsch mit heiserer Stimme.
    – Ich schau nur nach, was los ist. – Schura beachtete ihn nicht und näherte sich langsam dem Traktor.
    – Ich hab gesagt – bleib wo du bist! – schrie Nikolaitsch hysterisch und zog die Makarow mit den geheimnisvollen Kerben am Griff aus der Tasche.
    Wir erstarrten. Die Pistole sah in seiner Hand wie Spielzeug aus. Ich denke, einige schnallten gar nicht sofort, dass es ein richtiges Schießeisen war. Bormann pustete sogar verächtlich, nachdem er aber einen Blick mit Pascha gewechselt hatte, verstand er schnell. Wind erhob sich und brachte bittere Herbstgerüche mit.
    – Hey, was soll das? – sagte der Versehrte leise, aber fest. – Nimm die Knarre weg. Ich will doch helfen.
    – Bleib, wo du bist, – wiederholte Nikolaitsch und richtete die Pistole ungeschickt auf Schura.
    – Was soll das? – wiederholte der Versehrte drohend.
    – Hey, du Wichser! – rief plötzlich Pascha. – Knarre weg, hat er gesagt.
    Ich glaube, er hat auf den Wichser reagiert. Zu stark hatte man die Feder in seinem Inneren zusammengedrückt, zu lange hatte er sich beherrscht, so dass sich der Mechanismus schließlich löste, die Feder heraussprang und die Sicherungen mitriss, und als der Versehrte einen weiteren, kaum merklichen Schritt tat, knallte der Schuss. Schura fasste sich an die Seite. Einer unserer Leute sprang sofort zu Nikolaitsch, schlug ihm die Waffe aus der Hand und stieß ihn mit der Glatze auf den warmen Asphalt. Die anderen eilten zu Schura, um ihn zu halten. Er fiel ihnen schwer in die Arme. Man legte ihn auf den Asphalt neben Nikolaitsch. Pascha öffnete seine Jacke, um an die Wunde zu kommen, jemand lief den Verbandkasten holen, ein anderer rief den Krankenwagen, die Traktoristen sprangen ab und standen herum, sie wollten auch helfen, Ernst schrie mich aufgeregt an, erklärte etwas, zeigte in Richtung Stadt, mechanisch antwortete ich sogar irgendwas, obwohl ich in Wirklichkeit nur dastand, das dunkle Blut sah, das unter dem Versehrten herausfloss, und mir lautlos immer wieder dasselbe wiederholte: Er ist doch nicht tot? Es ist doch nicht möglich, dass er tot ist?
    *
    Einmal, vor vielen Jahren, wann war das? Wieder im August. Spät im August, die heißen Abende kühlten so langsam ab wie Laster auf einem Rastplatz. Es war wohl unser letztes Schuljahr, wir hatten schon schlechte Gesellschaft und schlimme Angewohnheiten, waren erwachsen, verbrachten aber gleichzeitig lange Abende am Fluss, ganz wie Kinder. Viel Zerstreuung gab es damals nicht in der Stadt, so wenig wie heute. Ich erinnere mich nicht mehr, warum wir damals zur Brücke gingen. Normalerweise aalten wir uns auf den Stränden, wo der Fluss langsam und seicht war.
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