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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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keinerlei Einkommen erwirtschaftet. Das war bitter, erfreute aber meine Mutter, denn das Studium war vorbei, das Zimmer im Studentenheim bereits geräumt, und ich musste zumindest kurzfristig wieder nach Hause. Es vergingen keine zwei Wochen, und ich war wieder fort, unterwegs in die Stadt, wo ich mich in Nastjas Wohngemeinschaft einquartierte, illegal, auf einer Zusatzmatratze, die tagsüber unter ihrem Bett verschwand. Außer mir gab es einen weiteren Kostgänger, einen Georgier, der auf der Durchreise hängengeblieben war und in der Badewanne schlief. Morgens wurde er von den Ersten, den Fabrikarbeitern, geweckt und legte sich dann wahllos in eines der frei gewordenen Betten.
    Bald darauf ging unser Geld zur Neige, denn die Bezahlung war lächerlich, und wir mussten überlegen, wie wir uns erhalten sollten. Meine Mutter bot voller Grimm und Zufriedenstellung mein Zimmer an, aber keine finanzielle Unterstützung. Wie denn auch. Mehr noch, sie verlangte lautstark, dass ich als die ältere Tochter, als Nachfolgerin meines Vaters, als eine, die eine Ausbildung genossen hatte – eine Ausbildung, gegen die sie sich zuvor heftig gewehrt hatte –, langsam daran denken müsste, Geld nach Hause zu bringen. Das Zimmer war dazu noch nur für mich gedacht, denn Nastja war ihr fremd, nicht aus unserem Dorf, was schon fremd war, nicht aus unserer Familie. Das war das endgültige Nein. Wie jedes Mal in unserer Freundschaft stammte der Plan von mir, und wie so oft war er durch reinen Zufall initiiert worden. Neben dem Theater befand sich ein Restaurant, an das eine Bar angeschlossen war. Ich saß öfter dort, wenn ich auf Nastja wartete, manchmal mit Freunden von der Uni, aber oft alleine. Unsere Freundinnen kamen nicht so gerne an diesen Ort, sie mieden ihn und seine eigenartige Atmosphäre.
    Zu diesem Zeitpunkt war die Prostitution in unserem Land offiziell nicht existent, verboten, und kein aufrechter Sowjetbürger verspürte jemals ein Verlangen danach. Die Mädchen an der Bar waren einfach Mädchen an der Bar. Was sie in ihrer Freizeit taten, stand nicht zur Diskussion. Später hatten wir es alle viel leichter, denn das ganze Land begann, sich auf mannigfaltige und höchst legale Art und Weise zu prostituieren. Diese Art der Selbstvermarktung war dann kein Thema mehr und manche sehr junge Frauen sahen darin neuerdings sogar eine Art romantisch verklärte Rebellion gegen das System. Mehr als einmal habe ich in den letzten Jahren überschminkte Teenager auf der Straße aufgeklaubt, links und rechts geohrfeigt und in ihr Elternhaus zurückgebracht, so sie eines besaßen, bevor sich eine gewisse Gewohnheit und die wirklichen Schwierigkeiten bei ihnen einstellen konnten. Die, die ich nirgendwohin bringen konnte, weil sie niemanden interessierten, ließ ich verständnisvoll und mit ein paar gutgemeinten Ratschlägen laufen. Immerhin ließ sich mit solchen Methoden die Konkurrenz halbieren.
    Doch damals, als ich jung war, war das alles noch anders. Damals kannten wir einander kaum, damals gab es weder Warnung noch gute Ratschläge, aber auch mit Ratschlägen und Warnungen wäre mein Weg vermutlich genau der geblieben, den ich einschlagen wollte und musste.
    Damals mochte ich das rote Halbdunkel, weil es mich an Mutter und unser Haus erinnerte. Es gab mir das Gefühl, in der erwählten Fremde doch noch etwas Bekanntes vorzufinden. Das Lokal war gutbesucht, die Bedienung auffällig hübsch, die Mädchen an der Bar musterten mich misstrauisch. Das machte mir Spaß, und ich schminkte mich zu ihrer Provokation noch auffälliger, mein Mund sollte röter sein als ihre Lippen. Ich saß dort in einer samtig gepolsterten Nische und las in meinen Unterlagen, überlegte Konstellationen der Charaktere, ihre Position auf der Bühne, ihre möglichen Kostüme, ich sah mich und Nastja auf dem Spielbrett aus Holz, ich schob uns hierhin und dorthin, aber in keinem Winkel ergab sich ein Standort, der mich zufriedenstellen konnte.
    Als wir nur noch Geld für eine Woche hatten, und zwar für eine Woche voller Nudeln und Brot ohne Butter, kam der Geschäftsführer zu mir, lächelte mich an und lud mich auf ein dreigängiges Menü ein. Ich verschlang es wie ein hungriger Straßenhund. Er sah mir genau zu. Er reichte mir Wein.
    Dann fragte er mich, ob ich nicht ab und zu aushelfen wolle, die Bezahlung sei gut. Das ergab einen unerwarteten Bühnenwechsel. Nastja war begeistert, denn sie war gerade für die weibliche Hauptrolle im »Idioten« in die engere
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