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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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geht schwer«, antwortet McKinley. »Es gibt hier viel Staub.«
    »Noch sechs Tage. Ich hoffe, daß ihr's schafft«, bemerkt der Kapitän.
    In der Nacht erwache ich, denn ich glaube das Dröhnen eines Sturmes gehört zu haben. Der Himmel ist klar, still und sternenbesät. Nichts geschieht. Nur das Herz dröhnt. Schweigend beobachte ich, wie sich auf dem Felsen neben mir der Rauhreif in der Morgensonne verflüchtigt. Kaum wahrnehmbare Nebelschleier zittern über den verschwindenden Eiskristallen von Karbondioxyd. Radcliff schlägt dem Kapitän vor, in den Krater hinabzusteigen, um die Sauerstoffbehälter zu suchen. Der lahme Gray könnte allein auf dem Kamm bleiben und das Radiogerät und die Signalraketen bedienen. Der Kapitän lehnt seinen Vorschlag unter dem Vorwand ab, daß es hoffnungsloser sei, in der Steinlawine aufs Geratewohl zu suchen als in absoluter Unbeweglichkeit mit Sauerstoff zu sparen. Mittags wiederholt Radcliff den Vorschlag und bietet an, allein zur Lawine zu gehen. Wenn er vielleicht doch Glück hätte . . . Ein Goldgräber muß auch mit dem Glück rechnen. »Wir sind nicht in Alaska«, antwortet der Kapitän abweisend und forden ihn auf, nicht überflüssig zu sprechen und Sauerstoff zu vergeuden.
    Bis zum Abend spricht keiner ein Wort. Die abendliche Rakete strahlt am Himmel wie ein grüner Stern der Hoffnung. Noch fünf Tage.
    Als wir am nächsten Tag erwachten, war der Platz Radcliffs leer. Seine Fußspuren im Rauhreif wiesen den Hang hinab. Der Kapitän schwieg.
    Außer den Meldungen bei Funkgesprächen mit der zweiten Gruppe war den ganzen Tag im Hörer nicht ein Wort zu vernehmen. Die sonst bei Untätigkeit so endlosen Stunden fielen wie überreife Früchte vom Baum der Zeit. Gegen Abend kehrte der erschöpfte Radcliff zurück. Er brachte eine leere, verbeulte Blechbüchse für Obstsäfte mit. Gott weiß, warum er sich damit abschleppte. »Ich sage dir nur eines«, empfing ihn der Kapitän, »du hast uns alle um einige Stunden Atem bestohlen.«
    »Ich wollte euch eine Freude machen«, erwiderte Radcliff abgestumpft. »Aber dort gibt es nichts als Steine, nichts als Steine . . .«
    McKinley meldete sich früher als sonst und sagte, daß die Gelbe Eidechse, wenn das Wetter beständig bliebe und nichts Unvorhergesehenes passiere, morgen abend am südöstlichen Hang der Barriere sein könne.
    »Wir haben noch neunzig Stunden«, antwortete der Kapitän mit möglichst gleichgültiger Stimme. »Ausgezeichnet«, entgegnete McKinley mit erzwungener Begeisterung.
    Wir bewachen Radcliff, denn er benimmt sich sonderbar. Zeitweise scheint es, als wolle er zu den Trümmern des Anhängers laufen, dann wieder blickt er zum südöstlichen Hang der Barriere und fordert uns auf, der Gelben Eidechse entgegenzugehen.
    Zu Mittag meldet sich McKinley. Die Gelbe Eidechse ist am Vormittag drei Stunden lang im Staub steckengeblieben, so daß die Gruppe den Fuß der Barriere nicht bis zum Abend erreichen kann. Radcliff bekommt nach dieser Nachricht einen hysterischen Weinkrampf. Ich zwinge ihn, eine starke Dosis Sedativum zu sich zu nehmen.
    Wieder überflutet die abendliche Rakete den Kamm der Barriere mit ihrem grünen Licht, und in den Kopfhörern vernehmen wir McKinleys freudig erregte Stimme. Eine Weile später starren wir in die schwarze Finsternis im Südosten und glauben, in der Ferne die Lichtsignale von den Scheinwerfern der Gelben Eidechse zu sehen. Wir streiten uns, ob es optische Täuschungen oder Illusionen der überreizten Sinne sind. Nein, denn wir beobachten alle den gleichen Rhythmus der Signale.
    Um zehn Uhr abends meldet sich wieder McKinley. Die Gruppe hat den Fuß der Barriere erreicht, doch die Männer sind halbtot vor Müdigkeit.
    »Wir haben noch mehr als sechzig Stunden«, sagt der Kapitän, »ruht euch bis zum Morgen aus.«
    McKinley sagt, daß alle eine Stunde rasten, dann den Anhänger abkoppeln, bei dem O'Brien bleibt, und weiterfahren wollen. »Das ist ein überflüssiges Risiko, es gibt dort verwehte Krater«, widerspricht der Kapitän. »Wenn Waux und Thompson mit Stangen vorangehen, kann nichts geschehen. Bis zum Morgen schaffen wir's.« »Um Gottes willen, gehorchen Sie!« schreit der Kapitän. »Ich verbiete Ihnen das!«
    »Gut«, sagt McKinley und unterbricht das Gespräch.
    Nach einer Stunde sehen wir wieder die Lichter der Gelben Eidechse. Sie bewegen sich kaum merklich und kriechen wie unscheinbare Leuchtkäfer über die schwarzen Streifen der Barriere. Ich fühle mein Herz
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