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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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stürmisch schlagen. Um Mitternacht sind die Lichter schon so deutlich klar, daß wir den von der Gelben Eidechse beleuchteten Geländestreifen erkennen. Gäbe es nicht die tückischen, vom Staub verwehten Gruben, würden wir ihnen am Hang entgegenlaufen. Dann drehen wir die Grüne Eidechse so, daß ihre Scheinwerfer der Gelben Eidechse entgegenleuchten, schalten sie ein und warten. Während in der Ferne die Lichter verschwinden und wieder auftauchen, je nachdem wie sich der Schlepper durch die Felsgruppe und verschütteten Vertiefungen windet, dreht sich über unseren Köpfen das Zifferblatt der Sternenuhr - wie eine riesige astronomische Uhr.
    Um vier Uhr früh gehen die Männer in der von den Scheinwerfern durchschnittenen Finsternis der Gelben Eidechse entgegen. Weil ich nicht will, daß der lahme Gray allein sitzen bleibt, lehne ich mich an seine Schulter und sehe zu, wie sich die Gestalten in Raumanzügen im Kegel des blendenden Scheinwerfers bewegen - und habe das Gefühl, daß Leiden, Zorn, Furcht und Krankheit nur dazu da sind, damit wir von Zeit zu Zeit staunen, wie wenig genügt, um glücklich zu sein.
    28
    Es läßt sich schwer bestimmen, wann eigentlich der Große Marsch endete. Vielleicht in dem Augenblick, als wir beim dreihundertvierzigsten Kilometer im Staubsturm steckenblieben. Oder als irgendwo im Gebiet Sinus Sabaeus Lawrenson das letzte Wort funkte? Oder als O'Brien die Führung seiner Gruppe McKinley übergab? Oder würde er erst mit der letzten Umdrehung des Motors in der Basis enden? Vielleicht lag der Grund des Mißlingens in den Maschinen, vielleicht in den Menschen. Eines stand fest, daß wir gleichzeitig mit den Vorräten für Lebensbedürfnisse und Technik von der Erde auch die Keime jener Krankheit mitgebracht hatten, der wir alle verfielen. Es wäre allerdings bequem, die Schuld an allem auf die Krankheit zu wälzen, an der die gesamte Menschheit leidet. Ebenso falsch wäre es jedoch, sich mit Selbstbeschuldigungen zu peinigen. Bei all dem Ungewissen, das uns von Geburt an umgibt, ist nur eines sicher: nichts geschieht zwecklos.
    Als sich später am Kamm der Barriere der Kapitän und O'Brien begegneten, warf keiner dem anderen etwas vor, keiner entschuldigte sich und keiner dankte. Beide hatten zuviel verloren, um von neuem beginnen zu können. Nach fünf Tagen erreichten wir Sion , wo wir uns endlich Erholung gönnen konnten. Unter den Felsenzinnen war es still. Kein Wind rüttelte an der Kabine, kein Gewitter tobte über der Wüste. Helle, klare Tage wurden von durchsichtig dunklen Nächten abgelöst; das war alles, was sich ereignete.
    Tag für Tag, Woche für Woche führt uns das Peilgerät den mühsam eintönigen Weg zur Basis. Die Spuren der Menschen und der Schlepper schreiben die Chronik des Großen Marsches in den Staub. Eines Tages endet die Windstille, der ausgeruhte Wind hebt den Staub, jagt ihn über die Kämme der Dünen und verwischt das schriftliche Zeugnis. Der Wind weht, die Maschinen arbeiten und die Menschen leben, als könnte das gar nicht anders sein.
    Endlich taucht im staubigen Nebel die Silhouette der Stahlkonstruktion der Basis auf. Maschinen und Menschen bleiben stehen. Der Große Marsch ist endgültig zu Ende. Während sich der Planet in eisiger Stille dreht, verwischt der Wind alle Spuren.Wir sind wieder alle beisammen - bis auf Williams und Lawrenson.Ich habe jetzt viel Zeit zum Nachdenken. Obwohl Watts und ich genug Arbeit mit der Behandlung der Asschläge und der häßlich eiternden Schwielen haben, mit denen wir das lange Verbleiben in den Raumanzügen bezahlen. Alles erscheint mir normal und angemessen. Gray hat ein stark verletztes Knie und wird noch Spaß daran haben, wenn ihn auf der Erde die Chirurgen »in die Mangel« nehmen werden. Auch Trott mit den amputierten Zehen an beiden Füßen ist ein Krüppel. Außerdem zeigen sich bei ihm Folgen des langdauernden Sauerstoffmangels. Briggs leidet an häufigen Schwindelanfällen und Unwohlsein. Keiner von uns ist ganz gesund. Der Kapitän ist noch verschlossener als früher. O'Brien spricht überhaupt nicht. Dafür wird Radcliff mit seinem dauernden Gerede unerträglich; als wolle er etwas nachholen, was ihm lange Zeit versagt war. McKinley macht keine Späße mehr. Vielleicht bedauert er den Verlust des Steinhaufens, den er mit dem Einsatz seines Lebens gesammelt hat und der jetzt irgendwo in der Wüste hinter der Barriere liegt.. . Jeder von uns hat etwas verloren. Jetzt, da ich genug Nahrung und Luft
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