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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde
Autoren: Barnard Christiaan
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setzte die Klemme an die Hohlvene und machte mit dem Messer vorsichtig einen Einschnitt von sechs Millimetern in das abgeklemmte Stück Vene.
    »Faden. Fünf o.«
    Er begann das abgeschnittene Stück Lungenarterie an die Öffnung in der Vene zu nähen. Erarbeitete gut, stellte er mit unpersönlicher Freude fest. Seine Hände waren ruhig, jeder Stich saß mit makelloser Genauigkeit. Flüchtig beunruhigte es ihn, daß er seine eigene Arbeit mit solcher Objektivität betrachten konnte.
    Was hatte Philip gestern vor dem Rhodes-Denkmal gesagt? »Man kann den Dingen nicht den Rücken zukehren.«
    Sie hatten besprochen, was Philip dem Untersuchungskomitee sagen wollte.
    »Ich werde einfach meine Kündigung einreichen. Das dürfte genügen.«
    »Und dann? Gehst du wieder nach Kanada?«
    Philip zögerte. »Ich bin nicht sicher. Eigentlich hatte ich in Erwägung gezogen, in unseren Heimatort, nach Beaufort West, zurückzukehren.«
    Deon starrte ihn verblüfft an. »Mach keine Witze. Wozu?«
    »Um Arzt zu sein.«
    »Du meinst – praktischer Arzt?«
    »Ja.«
    »Du spinnst.«
    »Darüber ließe sich streiten.«
    »Philip, das kannst du nicht machen. Alles hinschmeißen und in so einem Kaff praktizieren …« Deon lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Tut mir leid, Philip, aber das wäre hirnverbrannt.«
    »Wie gesagt, darüber läßt sich streiten.«
    Deon versuchte es auf die vernünftige Art. »Dazu bist du doch viel zu schade! Ohne dir schmeicheln zu wollen – aber du mußt einer der besten Genetiker der Welt sein. Und du machst mir weis, daß du auf dem Lande Schnupfen und Hexenschüsse kurieren willst?«
    »Ich weiß es noch nicht. Vergiß nicht, daß ich als Arzt ausgebildet wurde. Mendel machte seine Entdeckungen im Gemüsegarten eines Klosters. Vielleicht leiste ich mein Bestes im Schatten eines Dornbaumes.«
    »Das kann nicht dein Ernst sein!«
    Philip vergrub die Hände in den Hosentaschen und spannte seine Schultermuskeln. Deon erkannte darin bestürzt eine seiner eigenen Gesten wieder.
    »Mein vollkommener Ernst«, sagte Philip. »Es ist keine Laune. Ich habe es mir gründlich überlegt. Wir müssen ab und zu unsere Wertmaßstäbe revidieren. Was ist denn wichtiger: ein unterernährtes Baby in der Karru zu behandeln oder zu verhindern, daß ein weiterer Mongoloide geboren wird?«
    »Aber du bist doch Genetiker!«
    »Stimmt. Aber ich bin auch Arzt. Und ich finde, ich sollte zur Abwechslung mal etwas für das Kind in der Karru tun.«
    »Ist dir klar, daß du da nur Farbige behandeln darfst? Sogar im Krankenhaus?«
    »Ja. Wieso?«
    »Du wirst keine weißen Patienten haben dürfen.«
    Philip blickte ihn schweigend an. »Ja, ich weiß«, seufzte er. »Manchmal bin ich sehr verbittert darüber. Und dann wieder sage ich mir: Macht es wirklich so einen großen Unterschied, wie und wem ich diene?« Er sah zur Seite und fügte leise hinzu, als mache er ein Geständnis: »Man kann nicht immer nur gegen das Unrecht anreden, ohne selbst etwas zu tun, Deon. Man kann den Dingen nicht den Rücken zukehren.«
    Die beiden Klemmen wurden abgenommen, und nun strömte das ganze Blut aus der oberen Hohlvene direkt in die rechte Lunge.
    Deon schaute zum Narkosearzt hinüber. »Wie hoch ist der Venendruck?«
    »Zweiundzwanzig. Aber er fällt noch weiter.«
    »Das will ich hoffen!«
    »Zwanzig jetzt, Deon.« Der Narkosearzt zählte langsam. »Neunzehn … achtzehn … sechzehn … vierzehn«, er machte eine Pause. »Er scheint bei vierzehn stehenzubleiben.«
    Deon warf einen Blick auf die Wanduhr. Vor zwei Stunden hatten sie angefangen, und sie waren zur Hälfte fertig. Jetzt wurde es brenzlig. Jetzt betrat er unerforschtes Gelände, und niemand konnte wissen, welche Fallen für ihn auslagen.
    Er sah zu den beiden Technikern hinüber, die wartend neben der Herz-Lungen-Maschine standen.
    »O. K. Seid ihr bereit?«
    Sie sahen erschrocken auf, da nun auch sie sich in den Strudel gezogen fühlten, dessen Mitte das Kind auf dem Tisch war, um das bewegliche Kräfte kreisten, scheinbar unwirksam, bis das Opfer in ihren Sog geriet und sich vergeblich wehrte, unerbittlich in die Tiefe gezogen zu werden.
    Opfer? Ja, dachte Deon. Richter und Henker, endlich auch Opfer. Die Gegenwart hat ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Ich bin die Summe dessen, was ich war. Was dieses Kind sein wird, hängt von dem ab, was ich war. So sind wir beide Opfer.
    Ich bin persönlich verantwortlich für seine Leiden, denn wenn ich anders gehandelt hätte,
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