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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde
Autoren: Barnard Christiaan
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Durcheinander menschliche Organe häuften. Er sah auf und senkte das Seziermesser.
    Der Weiße schaute ungeduldig auf seine Uhr. »Morgen. Ist Dr. Innes noch nicht da?«
    Das breite Gesicht des Farbigen blieb unbewegt, aber in seiner Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit. »Guten Morgen, Herr Professor Van der Riet.«
    »Guten Morgen, William«, erwiderte der Weiße hastig.
    »Dr. Innes hat angerufen, Professor. Er ist in einer Besprechung und kann erst um halb hier sein.«
    »Er sollte eine Autopsie für mich durchführen, ein Kind namens Daley, Pamela Daley. Haben Sie die Leiche geöffnet?«
    »Nein, Professor.« Der Farbige deutete mit dem Kopf auf ein Bündel auf einem anderen Tisch. Das weiße Leichentuch war etwas zurückgeschlagen, und als Van der Riet näher trat, erkannte er ein bleiches Kindergesicht unter strähnigem Haar. Die Lider waren geschlossen, als schlafe das Mädchen nur. Zur Vorbereitung für die Autopsie hatte man die Verbände von der Brust entfernt. Er sah hinunter auf den vernähten Einschnitt und das zierliche Muster der Stiche, das sich schwarz von der Haut abhob.
    Warum war sie so plötzlich gestorben? In den ersten Stunden nach der Operation ging es ihr doch gut: Und dann … Exitus. Er kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß der Kardiologe einen Fehler gemacht und den hohen Druck in der Lungenarterie falsch gedeutet hatte. Er sah wieder in das stille Gesichtchen, warf dann einen Blick auf seine Armbanduhr und schnalzte ärgerlich mit der Zunge. Er hätte im Operationssaal bleiben sollen. Jetzt wußte er selbst nicht mehr so recht, warum er eigentlich unbedingt bei der Autopsie dabeisein wollte. Aus Unwillen über den Verlust einer Patientin? Oder weil er sich mit eigenen Augen davon überzeugen wollte, daß der Fehler nicht bei ihm gelegen hatte? Auf jeden Fall mußte er jetzt gehen. Er konnte Innes später anrufen, um zu erfahren, was die Autopsie ergeben hatte.
    Die Schiebetür quietschte schrill, und über die Schulter blickend erkannte er Professor Martyn, den Chef der Pathologie. Er sprach ernsthaft, mit knappen, beherrschten Gesten auf einen hochgewachsenen Mann im dunklen Anzug ein, der neben ihm herging und ihm aufmerksam den Kopf zuneigte.
    Deon Van der Riet durchzuckte es wie ein Schock. Mein Gott, dachte er. Philip! Einen Augenblick lang wünschte er sich sehnlichst, im Erdboden zu versinken.
    Die beiden Gesichter wandten sich ihm fragend zu. Martyn wirkte nervös. Das Gesicht des anderen war ernst und gelassen. Mit seinem langen Gesicht, der dunklen Haut und dem schwarzen Haar wirkte er fast arabisch.
    Er wird ja schon grau an den Schläfen, dachte Deon beunruhigt. Grau. Dabei ist er so alt wie ich. Na ja, nicht ganz, zwei Jahre älter.
    Martyn tat überrascht. »Deon, Sie hatte ich hier nicht vermutet.«
    »Ich warte auf jemanden.«
    »Ach so. Darf ich Ihnen Professor Davids vorstellen?«
    Nun mußten ihre Blicke sich offen begegnen.
    »Philip.« Deon Van der Riet zögerte.
    Sie sahen sich mit dem gleichen fragenden Lächeln an.
    »Deon«, sagte der andere.
    Beide lachten verlegen, wie über einen altbekannten Witz. Sie schüttelten sich die Hände.
    »Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte Deon.
    »Ja, sehr lange«, bestätigte Philip Davids.
    »Zwanzig Jahre?«
    »Das könnte stimmen. Ich bin Ende vierundfünfzig weggegangen.«
    Deon schüttelte nachdenklich den Kopf. »Und seither ist viel Wasser ins Meer geflossen.«
    Philip schien über diese Bemerkung nachzusinnen, als sei sie eine ernste und tiefgründige Erkenntnis. Er nickte. »Wirklich sehr lange«, wiederholte er.
    Professor Martyn, der ängstlich von einem zum andern geblickt hatte, als wittere er eine versteckte Gefahr, atmete erleichtert auf. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie sich kennen.«
    »Wir haben zusammen hier studiert«, sagte Deon.
    »Aber inzwischen ist einiges modernisiert worden«, fügte Philip hinzu. Er deutete zum Amphitheater, das den Seziertisch umgab, auf dem der Farbige ordentlich Herz, Lunge, Nieren und Leber arrangiert hatte. »All das gab es damals noch nicht.«
    »Ja, ja, das meiste ist erst angeschafft worden, seit ich hier Chef bin.« Professor Martyn schritt strahlend auf das Fernsehkontrollgerät zu, froh über die Gelegenheit, seine fortschrittliche Ausstattung vorführen zu können. »William legt die Organe bereit, ehe die Vorlesung beginnt. Der Dozent braucht dann damit keine Zeit mehr zu verlieren – und man kann von allen Plätzen aus gleich gut sehen.«
    Mit einem
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