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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde
Autoren: Barnard Christiaan
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unbehaglichen Gefühl erinnerte Deon sich an einen Tag vor mehr als zwanzig Jahren, als Philip und anderen farbigen Studenten der Eintritt verwehrt worden war, weil hier die Leiche eines Weißen seziert wurde. Hatte man die Methode mit dem Fernseher und ähnliches geschickt ausgeklügelt, um derlei künftig zu vermeiden? Denn wenn die Organe erst herausgeschnitten waren, wer hätte dann noch sagen können, ob ihr Besitzer weiß, gelb oder schwarz gewesen war? Nur William! Nun, da sie den Damm durchbrochen hatten, konnte er die Flut seiner Erinnerungen nicht mehr hemmen.
    Philip im Vorlesungssaal, in seinem dünnen, abgetragenen Jackett, klug die Fragen stellend, auf die andere gar nicht kamen.
    Philip, gespannt über ein Mikroskop gebeugt, das er mit seinen braunen Händen sorgfältig einstellte.
    Philip am Tage der Promotion. Ungelenk nahm er das Diplom entgegen.
    Philip …
    »Ich warte auf Dr. Innes«, sagte Deon zu Martyn. Seine Stimme klang unwirsch in dem Bemühen, dem Erinnerungsstrom zu entfliehen. »Er sollte diese Autopsie für mich durchführen – ein Mädchen, das wir gestern operiert haben; Defekt in der Scheidewand von Herzkammer und Vorhof. Sie schien durchzukommen, aber gestern abend bekam sie Kammerflimmern, und wir konnten das Herz nicht wieder in Gang bringen. Könnten Sie nicht rasch einen Blick auf Herz und Lunge werfen?«
    »Haben wir noch einen Augenblick Zeit, Herr Kollege?« fragte Martyn Philip, und dem Farbigen rief er zu: »William, bitte eine Schürze und Handschuhe.« Zu Deon gewandt, erklärte er: »Ich habe mich ein bißchen um Professor Davids gekümmert, der heute Vormittag bei uns eine Gastvorlesung hält. Kollege Gleave hat mit den Vorbereitungen dafür zu tun.«
    »Ja, Professor Gleave hat mir eine Einladung geschickt.«
    »Kommen Sie hin?«
    Deon zögerte. »Ich glaube nicht, daß ich es schaffe. Ich habe heute Morgen im Kinderspital operiert. Das Kind war noch im Operationssaal, als ich gehen mußte. Aber Dr. Robertson wird mich vertreten. Erinnerst du dich noch an Robby Robertson?« wandte er sich an Philip.
    »Robby? Aber natürlich.«
    »Er ist jetzt mein Stellvertreter im Herzteam.«
    »Wirklich? Das wußte ich nicht.«
    »Ja. Er ist noch ganz der alte.«
    »Er war immer ein richtiger Spaßvogel.«
    »Ist er noch.«
    Martyn hatte sich die Schürze umgebunden und zwängte seine Finger in die Gummihandschuhe. William schob die Leiche auf der weißen Marmorplatte zurecht, bis sie in Martyns Reichweite lag.
    »Gut. Sie können das Tonbandgerät anstellen«, sagte er zu William, und Deon und Philip entfernten sich vom Mikrofon. »… Körper eines wohlgenährten Mädchens, mit gewissen Verformungen der Wirbelsäule …«, dröhnte Martyns Bass.
    Sie standen verlegen beieinander. Deon hüstelte. »Du hast doch auch Pathologie gemacht, nicht?« fragte er leise. Irgendwas sagen, nur daß die Vergangenheit nicht wieder hochkommt. »Ich meine, bevor du dich der Genetik zuwandtest.«
    Philip sah ihn voll an und lächelte. »Richtig. Ich bin von hier aus nach Edinburgh gegangen, dann war ich ein Jahr in Frankreich, und dann kam schließlich Kanada.«
    Martyn war dabei, das Brustbein zu entfernen. »… Spuren der letzten Operation mit einem fibrinösen Herzbeutelexsudat«, vertraute er dem Mikrofon an.
    »Ich nehme an, daß deine heutige Vorlesung sich mit der Genetik befasst«, sagte Deon und war sich peinlich bewußt, wie gekünstelt und leer seine Worte klangen.
    »Ja.« Philip schien seine Verlegenheit nicht zu bemerken. »Schade, daß du nicht kommen kannst. Ich werde neue Theorien über den Ursprung angeborener Missbildungen behandeln. Ich könnte mir vorstellen, daß es dich interessiert.«
    »Gewiß. Es ist eben nur wegen dieser Kleinen, die wir heute Morgen operiert haben.« Deon zuckte die Schultern und machte eine vage Geste des Bedauerns.
    Dieses Zusammentreffen hatte er vermeiden wollen. Er hatte gehofft, wenn er Robby als Vertreter in die Vorlesung schickte, würde sein Fehlen nicht auffallen. Jetzt, wo er Philip gegenüberstand, war nichts mehr zu machen. Besonders da Philip sich offensichtlich freute, ihn wieder zu sehen. Er konnte doch nicht alles vergessen haben, was geschehen war?
    In diesem Augenblick winkte Martyn Deon zu sich heran und sagte Unheil verkündend: »Da wären wir. Herz und Lunge.«
    Deon starrte in die klaffende Brusthöhle. Martyn hatte das Herz von der Lunge getrennt und sezierte jetzt den Herzbeutel. Er öffnete die rechte Vorkammer und
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