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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde
Autoren: Barnard Christiaan
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Zigarre. Darunter kleiner: Große Namen in Embryo-Experiment verwickelt.
    Mit wachsendem, ungläubigem Staunen taumelte Deon in eine Welt, wo die Wirklichkeit aufgehoben schien und keine natürlichen Gesetze mehr galten. Er las weiter. Professor Tertius Snyman verurteilte bei einer Pressekonferenz am heutigen Vormittag auf's strengste die Experimente mit Embryos des berühmten farbigen Genetikers Professor Philip Davids. Professor Snyman bezeichnete die Versuche als in höchstem Maße unmoralisch und unnötig. Die Universitätsleitung, in Verbindung mit Beamten des Gesundheitsministeriums, hat Ermittlungen aller Aspekte dieser Experimente eingeleitet, insbesondere die der Bezugsquelle der menschlichen Ova. Professor Snyman deutete an, daß Aufsehen erregende Enthüllungen zu erwarten und möglicherweise bedeutende Persönlichkeiten der medizinischen Welt darin verwickelt seien.
    Deon las den Artikel bis zum Schluß durch. Professor Snyman hatte bei der Gelegenheit auch bekannt gegeben, daß ein neuer Direktor für die Abteilung Chirurgische Forschung ernannt worden wäre. Es war Professor A. G. Robertson, der bis vor kurzem bei Professor Van der Riet in der Abteilung für Herzchirurgie gearbeitet hatte.
    Er und Philip waren allein.
    Er probierte den Gedanken an wie einen neuen Hut. Wie ein Badender, der Stück für Stück ins kalte Wasser eintaucht.
    Er überlegte, ob er Robby anrufen sollte. In seinem jetzigen Zustand der Teilnahmslosigkeit würde es ihm ganz leicht fallen. Robby hatte heute Nachmittag nicht operiert. Vielleicht war er in seinem Büro in der Fakultät.
    Robby. Rotes Haar und Sommersprossen und Brille. Ein spitzbübisches Grinsen. Der alte Robby, immer lächelnd, immer mit einem Scherz bei der Hand, einer schlagfertigen Antwort. Und hinter dem Lächeln – der Krebs der Unzufriedenheit, verborgener Neid, die verführerischen Einflüsterungen des Ehrgeizes. Guter alter Robby.
    Nein. Den Anruf wollte er sich ersparen.

12
    Wieder einmal stand er an dem Tisch, der Anklagebank, Zeugenstand und Richterstuhl zugleich war und wo er sein eigener Richter war – und daher der Hauptangeklagte.
    Die kleinere der beiden Operationslampen war falsch eingestellt, so daß ein Schatten auf die Lungenarterie fiel. Er schaute irritiert hoch, und einer der Studenten, die der Operation konzentriert folgten, rückte sie hastig zurecht.
    »Zu weit«, schnauzte Deon, »mehr nach rechts!«
    Der Lichtkegel schwenkte nach rechts. Deon knurrte ein knappes »Danke« und beugte sich wieder über die offene Brusthöhle.
    Beim Öffnen des Herzbeutels hatte Peter Moorhead, der ihm als erster Assistent gegenüber stand, leise durch die Zähne gepfiffen, und Deon hatte düster genickt. Es war genau, was er erwartet hatte: eine enorm angeschwollene linke Vorkammer, an der die rechte winzig klein hing, wie zwei Ballons, der eine aufgeblasen, der andere geplatzt. Das bestätigte seine Diagnose, über dies kaum einen Zweifel gegeben hatte: Trikuspidalatresie.
    »Also, fangen wir an! Pinzette und Schere, bitte!« sagte Deon.
    Am Morgen hatte er Trish im Korridor vor der Intensivstation gesehen. Er hatte stehenbleiben, ihr freundlich und beruhigend zureden wollen, aber wie gegen seinen Willen hatten seine Beine ihn weitergetragen, und er hatte ihr nur im Vorübergehen kurz zugenickt. Er hatte ihre Blicke in seinem Rücken gespürt, es wäre immer noch Zeit gewesen, umzukehren, aber er war durch die Tür mit der Aufschrift ›Operationssäle‹ verschwunden, als tauche er in das Innere einer geweihten Stätte ein. Warum? Darauf wußte er keine Antwort.
    Er wußte nur, daß er jetzt diese Lungenvene hier durchschneiden mußte, daß er sie vorher an der Abzweigung abbinden mußte, wo die Arterie in die Lunge eintritt. Werden Arterie und Lungenvene zusammenpassen? Wird der Druck in der Lungenarterie zu hoch sein?
    Ich weiß es nicht.
    Dies war wohl das erste Mal, daß er einem fast unlösbaren Problem gegenüberstand, dachte Deon. Seine Dimensionen sind die des Lebens selbst.
    Vielleicht bin ich im Grunde nur ein einfacher Mensch. Ich habe nie Höheres angestrebt. Ich habe mir nie viel Gedanken über des Lebens Sinn und Zweck gemacht. Vielleicht habe ich mich dessen schuldig gemacht. Ich bin schuldig, weil ich unschuldig bin.
    Muß ich mich ändern? Oder kann ich bleiben, wie ich bin?
    Es gab keine Lösung. Vielleicht war das die Strafe dafür, vom Baum der Erkenntnis zu essen: zu wissen, daß die einzige Gewissheit die Ungewissheit war.
    Er
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