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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte. Der Hergang war leicht zu rekonstruieren: das zerwühlte Bett, die offene Tür zur Terrasse, der Weg zu den Felsen – es war eine gerade Linie. Als sich Genia von den Klippen gestürzt hatte, konnte sie kaum mehr gewußt haben, was sie tat.
    Der Staatsanwalt, ein junger Beamter namens Dranophenes, blätterte nervös in seinen Aufzeichnungen. Dann sah er Pavlos Heraklion nachdenklich an.
    »Medizinisch ist alles klar«, sagte er.
    »Gott sei Dank!« seufzte Heraklion.
    »Polizeilich nicht.«
    »Wieso?« Heraklion blickte erstaunt auf. Diese jungen Beamten! Aus lauter Ehrgeiz vernebeln sie, was sonnenklar ist. »Wo gibt es hier noch Fragen?«
    »Keine Fragen, aber einige logische Überlegungen.« Dranophenes lehnte sich zurück. »Ihre Frau stürzt sich von den Felsen. Ein grausamer und ungewöhnlicher Tod, wenn man bedenkt, daß sie sechzig Schlaftabletten bereitliegen hatte …«
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Wir haben sie auf ihrem Nachttisch gefunden. Sie brauchte nur zur Seite zu greifen und hätte einen schönen, sauberen Tod gehabt, keinen so schmerzhaften wie ein Klippensturz! Versetzen wir uns einmal in die Seele einer Frau. Sie will sterben – und sie hat die Wahl zwischen Tabletten oder dem Sturz vom Felsen. Was wählt eine Frau? Den schrecklichen Tod, dem sie in überwachem Bewußtsein entgegenstürzt?«
    »Wie kann man Logik erwarten von einer Frau mit diesen Depressionen?« sagte Heraklion abweisend. »Jeder Psychiater wird bestätigen, daß solche Menschen anders reagieren als normale! Aus plötzlichen Impulsen heraus … Vielleicht ging sie auch nur zum Meer spazieren und faßte ganz unvermittelt den Entschluß: Jetzt springe ich! Und sie hat es getan … Wer weiß, was in ihr vorgegangen ist!«
    »Wir haben den Körper beschlagnahmt«, sagte Dranophenes schlicht.
    Pavlos fuhr hoch.
    »Das ist unerhört! Es liegt ein ärztliches Zeugnis vor …«
    »Ich benötige ein amtsärztliches Gutachten. Ich habe mir die Tote genau angesehen. Ihr Körper zeigt Spuren von Gewaltanwendung, die nicht von einem Sturz herrühren können. Blutergüsse wie von Schlägen mit einem stumpfen Gegenstand. Außerdem müssen wir den Mageninhalt untersuchen lassen. Und noch vieles mehr.« Der junge Staatsanwalt knüllte seine Notizen zusammen und steckte sie in die Rocktasche. »Aber das kennen Sie ja, Herr Heraklion. Sie waren schon einmal Witwer. Ihre erste Frau nahm sich doch auch das Leben …«
    »Ihr Zartgefühl ist phänomenal!« sagte Heraklion steif und erhob sich. »Sie können mich jederzeit erreichen. Ich bleibe auf der Insel.«
    Er grüßte nicht, verließ den Raum und ließ einen konsternierten Arzt zurück.
    »Aber es war doch einwandfrei Selbstmord …«, sagte der Doktor leise.
    Dranophenes hob die Schultern. »Hier gefällt mir vieles nicht. Aber das werden die Ermittlungen ergeben. Sie kennen die Familie Heraklion?«
    »Seit neunzehn Jahren«, erwiderte der Arzt.
    »Wie war die Ehe?«
    »Normal. Wenn man die Lebensmoral von Pavlos Heraklion berücksichtigt.«
    »Das heißt also: schlecht. Hat Genia Heraklion schon einmal Selbstmordabsichten geäußert?«
    »Öfter! ›Ich halte es nicht mehr aus‹ – das hat sie wiederholt gesagt.«
    Die Leiche wurde nicht nach Athen ins Gerichtsmedizinische Institut überführt. In aller Stille wurde sie beigesetzt. Heraklion hatte noch am selben Tag ein Telefongespräch mit einem Freund im Justizministerium geführt.
    »Wer ist dieser Dranophenes?« fragte er. »Ein forscher Staatsanwalt, nicht wahr? Große Karriere vor sich? Man merkt's! Ich erzähle dir mal, wie er sich bei mir benommen hat. Ich glaube nicht, daß ein solcher Beamter mich dazu ermuntern kann, ein Erholungsheim für griechische Polizeibeamte zu stiften.«
    Zwei Tage später wurde Staatsanwalt Dranophenes abgelöst und bekam einen kleinen Raubüberfall in Piräus zur Bearbeitung zugewiesen. Den Todesfall Genia Heraklion übernahm der Generalstaatsanwalt selbst. Er gab die Leiche zur Bestattung frei. Pavlos Heraklion baute ihr ein Mausoleum wie einer Königin. Aber vom Tage der Beisetzung an betrat er die Gruft nicht mehr.
    Es ließ sich nicht vermeiden, daß von der Insel Lenosos doch einige Indiskretionen an findige Reporter gelangten und von dort in die Weltpresse. Etliche tausend Drachmen sind für ein Dienstmädchen ein Vermögen. Plötzlich stand in den Zeitungen, was Heraklion unter allen Umständen hatte vermeiden wollen: ›Wie starb Genia? Das Geheimnis ihres Todes. Die Leiche wies
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