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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: John Grisham
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kürzlich gewählt worden, in einem County im Delta, dessen Bevölkerung zu siebzig Prozent schwarz war. Ford County war zu vierundsiebzig Prozent weiß, dennoch hatte Ozzie Wahl und Wiederwahl mit großer Mehrheit gewonnen. Die Schwarzen verehrten ihn, weil er einer der Ihren war, und die Weißen respektierten ihn, weil er als Polizist ein strenges Regiment führte und an der Clanton High School ein Footballstar gewesen war. Hin und wieder gelang es dem Sport sogar im Tiefen Süden, die Rassengrenzen aufzuweichen.
    Ozzie trat gerade mit seiner Frau und seinen vier Kindern aus der Kirche, als er den Anruf bekam. Er begab sich sofort zur Brücke, im Anzug, ohne Waffe und Abzeichen, aber immerhin mit einem alten Paar Stiefel im Kofferraum. Begleitet von zwei seiner Deputys, machte er sich über den aufgeweichten Boden auf den Weg zu der Platane, wo ihm jemand einen Schirm reichte. Seths Leiche war inzwischen völlig durchnässt, das Wasser triefte von Schuhen, Kinn, Ohren, Fingerspitzen und Hosensaum. Ozzie blieb unweit der Schuhe stehen, hob seinen Schirm an und betrachtete das bleiche, erbarmungswürdige Gesicht eines Mannes, dem er nur zweimal im Leben begegnet war.
    1983, als Ozzie zum ersten Mal zur Wahl für das Amt des Sheriffs angetreten war, hatte er drei weiße Konkurrenten, aber kaum Geld gehabt. Eines Tages kam ein Anruf von Seth Hubbard, damals ein Unbekannter für ihn, der sich, wie er im Lauf der Zeit erfahren sollte, generell lieber im Hintergrund hielt. Seth wohnte im Nordosten von Ford County, kurz vor der Grenze zum benachbarten Tyler County. Er erklärte, er handele mit Holz, besitze einige Sägewerke in Alabama, dazu die eine oder andere Fabrik. Ein erfolgreicher Mann, wie es schien. Er bot an, Ozzies Wahlkampagne zu finanzieren, aber nur, wenn er Bargeld annehme. Fünfundzwanzigtausend Dollar. Hinter verschlossener Tür in seinem Büro zeigte er Ozzie die Kassette, die das Geld enthielt. Ozzie erklärte, dass Wahlkampfspenden ordnungsgemäß deklariert werden müssten. Seth erwiderte, dass er das nicht wolle. Entweder bar auf die Hand oder gar nicht.
    »Was erwarten Sie dafür?«, hatte Ozzie gefragt.
    »Ich will, dass Sie gewählt werden. Sonst nichts«, hatte Seth entgegnet.
    »Ich weiß nicht recht.«
    »Glauben Sie vielleicht, Ihre Gegner nehmen kein Schwarzgeld?«
    »Doch, wahrscheinlich schon.«
    »Natürlich. Machen Sie sich nichts vor.«
    Ozzie nahm das Geld. Er peppte seine Kampagne auf, schaffte es mit knapper Not in die Stichwahl und zermalmte seinen Gegner am Ende. Im Anschluss daran fuhr er zweimal bei Seths Büro vorbei, um sich zu bedanken, doch Mr. Hubbard war nicht da, und Anrufe erwiderte er nicht. Ozzie versuchte, unauffällig Informationen über ihn zu sammeln, aber es war nicht viel in Erfahrung zu bringen. Es hieß, Mr. Hubbard habe ein Vermögen mit Möbeln gemacht, Genaueres wusste nie mand. Er besitze achtzig Hektar Land in der Nähe seines An wesens, sei kein Kunde örtlicher Banken, Anwaltskanzleien oder Versicherungsagenturen, besuche aber gelegentlich die Kirche.
    Vier Jahre später, bei der nächsten Wahl, sah sich Ozzie mit kaum ernst zu nehmender Konkurrenz konfrontiert, dennoch bestand Seth auf einem Treffen. Erneut wechselten fünfundzwanzigtausend Dollar den Besitzer, und erneut verschwand Seth von der Bildfläche. Nun war er tot, erdrosselt von seiner eigenen Schlinge, und baumelte triefend im Regen.
    Irgendwann erschien Finn Plunkett, der Coroner des County, der den Tod offiziell bestätigte.
    »Holen wir ihn herunter«, ordnete Ozzie an, und die Knoten wurden gelöst und Seths Leiche langsam herabgelassen. Sie legten ihn auf eine Trage und verhüllten ihn mit einer Isolierdecke. Vier Mann schleppten ihn mühsam zum Krankenwagen. Ozzie folgte dem kleinen Tross. Er war nicht weniger ratlos als alle anderen.
    Es war sein fünftes Jahr in diesem Job, und er hatte schon viele Leichen gesehen. Er hatte tödliche Autounfälle erlebt, ein paar Morde, auch ein paar Selbsttötungen. Er war weder abgestumpft noch abgeklärt. Oft genug hatte er selbst spätabends bei Eltern oder Ehepartnern angerufen, und er fürchtete sich immer noch vor dem nächsten Mal.
    Der gute alte Seth. Wen sollte Ozzie anrufen? Seth war geschieden, das wusste er, aber er hatte keine Ahnung, ob er wieder geheiratet hatte. Auch über die Familie wusste er nichts. Seth war um die siebzig. Wenn er Kinder hatte, waren sie erwachsen. Man musste sie erst einmal ausfindig machen.
    Nun, bald würde er
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