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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: John Grisham
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dem jeder eine Scheibe abhaben will. Sie hat gestern Abend zu mir gesagt, das Geld gehört allen Verwandten von Sylvester, nicht nur ihr. Sie will glücklich sein und ihre Ruhe haben.«
    »Wie wollen Sie das den anderen verkaufen?«, fragte Jake.
    »Ich gehe davon aus, dass Herschel und Ramona begeistert sein werden«, erwiderte Richter Atlee. »Keine Ahnung, wie Ancil und die Kirche reagieren. Aber vergessen Sie nicht, dass ich immer noch den Nachlass kontrolliere, und das werde ich tun, solange ich Lust habe. Kein Cent kann je ohne meine Zustimmung ausgegeben werden, und es gibt keine Frist für die Abwicklung eines Nachlasses. Ich bin mir sicher, dass mich nie jemand hinter meinem Rücken ›Esel‹ genannt hat, aber wenn ich stur sein will, kann ich die nächsten zehn Jahre lang auf dem Geld sitzen. Solange der Schutz des Nachlassvermögens garan tiert ist, kann ich die Auszahlung zurückhalten, solange ich will.« Er sprach nun wie ein Richter am Chancery Court und hegte offensichtlich keinen Zweifel daran, dass Richter Reuben V. Atlee seinen Willen bekommen würde. »Tatsächlich könnte es nötig werden, den Nachlass unbefristet weiterzuführen, um den be sprochenen Bildungsfonds zu verwalten.«
    »Wer soll den Fonds verwalten?«, fragte Jake.
    »Ich hatte an Sie gedacht.«
    Jake zuckte zusammen und hätte gern die Flucht ergriffen bei dem Gedanken an die vielen Dutzend oder gar Hundert Studen ten, die nach Geld schreien würden.
    »Das ist eine wunderbare Idee«, sagte Portia. »Meine Familie würde sich besser fühlen, wenn Jake im Spiel bleiben und ein Auge auf das Geld haben würde.«
    »Wie auch immer, das können wir später noch klären«, wehrte Jake ab.
    »Sind wir uns einig?«, fragte der Richter.
    »Ich bin keine Partei«, sagte Jake. »Mich brauchen Sie nicht anzusehen.«
    »Ich bin mir sicher, dass meine Mutter einverstanden ist, aber ich muss mit ihr reden«, sagte Portia.
    »Schön. Tun Sie das, und melden Sie sich morgen bei mir. Ich bereite ein Memo vor, das ich an alle Anwälte verschicken werde. Mr. Brigance, ich schlage vor, Sie suchen diese Woche Ancil Hubbard auf und klären das. Ich setze in etwa zehn Tagen eine Besprechung mit allen Parteien an. Wir schließen uns ein, bis wir uns geeinigt haben. Ich will, dass das in Ordnung kommt, klar?«
    Sie hatten verstanden.
    Einen Monat nach dem Urteil hatte sich Ancil Hubbard tief in den Beifahrersitz von Luciens altem Porsche sinken lassen und blickte durch das Fenster auf die sanften Hügel von Ford County. Von der Gegend wusste er nichts mehr. Er hatte die ersten sechzehn Jahre seines Lebens hier verbracht, aber die letzten fünfzig Jahre hart daran gearbeitet, sie zu vergessen. Nichts kam ihm vertraut vor.
    Er war gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden, was Jake und andere arrangiert hatten, und hatte sich von seinem alten Kumpel Lucien überreden lassen, nach Süden zu reisen. Nur noch ein letzter Besuch. Lassen Sie sich überraschen. Das schüttere graue Haar spross wieder und bedeckte teilweise die hässliche Narbe an seinem Hinterkopf. Wie Lucien trug er Jeans und Sandalen.
    Sie bogen in eine Nebenstraße ein und näherten sich Seths Haus. Im Vorgarten stand ein Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen«.
    »Hier hat Seth gewohnt«, sagte Lucien. »Wollen Sie anhalten?«
    »Nein.«
    Sie bogen erneut ab, diesmal auf eine Schotterpiste, und fuhren tiefer in den Wald hinein.
    »Erkennen Sie irgendwas?«, fragte Lucien.
    »Eigentlich nicht.«
    Die Bäume standen jetzt weniger dicht, und sie kamen auf eine Lichtung. Vor ihnen parkten kreuz und quer Autos, Erwachsene und Kinder liefen durcheinander. Von einem Holzkohlegrill stieg Rauch auf.
    Dahinter trafen sie auf Schutt und Ruinen, die von Kudzu überwuchert waren. Ancil hob eine Hand. »Stopp. Hier.« Sie stiegen aus. Einige der Leute waren in der Nähe und kamen herbei, um sie zu begrüßen, aber Ancil sah sie nicht. Sein Blick wanderte in die Ferne. Er fing an, auf die Platane zuzugehen, wo sein Bruder gefunden worden war. Die anderen gingen ihm schweigend nach, manche blieben zurück. Dicht gefolgt von Lucien, spazierte Ancil etwa hundert Meter zu dem Baum, blieb dann stehen und sah sich um. Er deutete auf einen kleinen Hügel, der mit Eichen und Ulmen bewachsen war. »Wir waren da oben, Seth und ich, im Wald versteckt. Damals kam es mir weiter weg vor. Sie haben ihn hierhergebracht, unter diesen Baum. Früher standen hier mehr Bäume. Eine Reihe von fünf oder sechs Platanen,
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