Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Fahrt dorthin kostete ihn einen halben Tag und eintausend Dollar. Jake war längst bereit für ein amerikanisches Modell. Jeden Morgen, wenn er den Zündschlüssel drehte, erlebte er einen bangen Moment, bis der Motor ansprang. Bislang war er immer gestartet, doch in den letzten Wochen brauchte er hin und wieder einen zweiten oder dritten Anlauf und reagierte nicht mehr so prompt. Das verhieß nichts Gutes. Außerdem waren da noch andere Geräusche, die Jake beunruhigten, und die Reifen, deren Profil all mählich seine Grenze erreichte, überprüfte er jetzt alle zwei Tage. Er bog rückwärts in die Culbert Street ein. Obwohl sie nur vier Straßen von ihrem leeren Grundstück in der Adams Street entfernt wohnten, gehörte diese Gegend eindeutig zu den einfacheren Wohngebieten der Stadt. Das Nachbarhaus war ebenfalls vermietet. In der Adams Street standen nur alte, stattliche, stilvolle Häuser, die Culbert Street dagegen war ein Sammel surium aus Vorstadtkästen, die hochgezogen worden waren, ehe sich die Stadt ernsthaft über Stadtplanung Gedanken gemacht hatte.
    Auch wenn Carla nichts sagte, wusste Jake, dass sie gern woanders hinziehen würde.
    Sie hatten darüber gesprochen, umzuziehen, möglicherweise sogar ganz aus Clanton wegzugehen. Die drei Jahre seit dem Hailey-Verfahren waren wesentlich weniger erfolgreich gewesen, als sie gehofft und erwartet hatten. Wenn es Jake beschie den war, sein Anwaltsleben von der Hand in den Mund zu bestreiten, dann konnte er das genauso gut woanders tun. Als Vorschullehrerin würde Carla überall einen Job bekommen. Bestimmt würden sie sich ein neues Leben aufbauen können, in dem sie nicht ständig alarmbereit sein und Waffen tragen mussten. Jake wurde zwar von den Schwarzen in Ford County verehrt, doch viele Weiße hassten ihn. Außerdem waren die Irren immer noch auf freiem Fuß. Andererseits vermittelte es ein gewisses Gefühl von Sicherheit, von Freunden umgeben zu sein. Die Nachbarn beobachteten den Verkehr, und jedes auffällige Fahrzeug wurde sofort bemerkt. Jeder Polizist in der Stadt und jeder Deputy im County wusste, dass die Sicherheit der kleinen Brigance-Familie oberstes Gebot war.
    Die Wahrheit war, dass Jake und Carla nie aus Clanton wegziehen würden, doch es machte Spaß, hin und wieder das alte Spiel zu spielen: Wo würdest du gern leben? Es war nicht mehr als ein Spiel, denn Jake wusste, dass er nicht in eine großstäd tische Megakanzlei passte. Und es gab mit Sicherheit keine Kleinstadt im ganzen Land, in der es nicht schon von schlecht verdienenden Anwälten wimmelte. Er machte sich keine Illusionen, was seine Zukunft anging, aber das war in Ordnung. Solange er nur halbwegs Geld verdiente.
    Er verlangsamte kurz an dem verwüsteten Grundstück in der Adams Street, fluchte leise über die Feiglinge, die das Haus abgefackelt hatten, fand auch ein paar ausgewählte Nettigkeiten für die Versicherung und gab dann wieder Gas. Von der Adams Street bog er in die Jefferson Street ein und schließlich in die Washington Street, die nördlich des Clanton Square in westöstlicher Richtung verlief. Hier lag seine Kanzlei, direkt gegenüber dem imposanten Gerichtsgebäude. Er parkte wie jeden Morgen an derselben Stelle, denn morgens um sechs Uhr gab es noch freie Auswahl. Der Stadtplatz würde noch etwa zwei Stunden lang friedlich daliegen, bis Gericht, Läden und Büros rund herum öffneten.
    Im Gegensatz dazu war der Coffee Shop bereits voll von Ar beitern, Farmern und Deputys, als Jake eintrat und in die Runde grüßte. Wie gewöhnlich war er der Einzige mit Anzug und Krawatte. Die Angestellten pflegten sich eine Stunde später gegenüber im Tea Shoppe zu treffen, um über Zinsentwicklung und Weltpolitik zu diskutieren. Im Coffee Shop wurde über Football, Lokalpolitik und Barschfischen gesprochen. Jake war einer der wenigen Anzugträger, die in dieser Runde überhaupt geduldet wurden. Und dafür gab es mehrere Gründe: Er war beliebt, hart im Nehmen und gutmütig – außerdem war er immer gut für eine kostenlose Rechtsberatung, wenn einer der Mechaniker oder Trucker ein Problem hatte. Er hängte sein Jackett auf und setzte sich zu Deputy Marshall Prather an den Tisch. Zwei Tage zuvor hatte das Team der Ole Miss – der University of Mississippi – mit drei Touchdowns gegen Georgia verloren, das war natürlich das heutige Topthema. Eine aufreizende, Kaugummi kauende Bedienung namens Dell schenkte Jake Kaffee ein und versetzte ihm dabei einen kecken Stoß mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher