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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge
Autoren: Michael Peinkofer
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dann löste sich ihre kleine Versammlung auf, und Nick wandte sich Elena zu.
    »Schätze, das war’s«, meinte er verlegen.
    »Es hat den Anschein.«
    »Elena, ich …«, begann er – um sich sogleich wieder zu unterbrechen. Er war kein Gelehrter, kein Mann des großen Wortes. Ein Chaos an Gefühlen tobte in seiner Brust, wobei Trauer alle anderen weit überwog. Nick trauerte um seine gefallenen Kameraden und um den Bruder, den er nie wirklich kennen gelernt hatte, aber er war auch traurig darüber, dass Elena in Maracaibo von Bord gehen und er sie nie wiedersehen würde. Wie sollte er ihr begreiflich machen, was er für sie empfand und dass er sie nicht gehen lassen wollte?
    »Sag nichts«, verlangte sie und legte ihm sanft die Hand auf die Lippen. »Es würde nur wehtun.«
    »Dann heißt es also Abschied nehmen. Wir werden dich nach Maracaibo bringen, zurück zu deinen Leuten.«
    »Begleite mich«, schlug sie vor.
    »Nein, danke sehr.« Er lächelte dünn. »Die Gastfreundschaft Maracaibos habe ich lange genug genossen. Außerdem wäre ein Bukanier wohl wenig willkommen.«
    »Du bist kein Bukanier, sondern der Sohn eines Lords.«
    »Dennoch wäre ich ein Fremder unter deinen Leuten – so wie eine katholische Spanierin unter meinen Landsleuten stets eine Fremde wäre. Du und ich, wir stammen aus verschiedenen Welten, Elena, und daran hat sich nichts geändert.«
    Sie schaute ihn durchdringend an, und er wünschte sich, dass sich ihre Lippen einmal mehr trotzig schürzen und sie energisch widersprechen würde. Aber ausgerechnet dieses Mal teilte Elena seine Meinung.
    »Du hast Recht«, stimmte sie leise zu. »Wir stammen aus verschiedenen Welten. Es gibt für uns keine Zukunft, weder auf spanischem Boden noch auf britischem. Damit müssen wir uns wohl abfinden.«
    Nick erwiderte nichts darauf, und sie ließ ihn stehen, ging unter Deck in ihre Kajüte. Bedauernd blickte Nick ihr hinterher, und wie schon so manches Mal war es Pater O’Rorke, der seine Gedanken zu erraten schien.
    »Du lässt sie gehen?«, fragte der Mönch. »Einfach so?«
    »Es ist das Beste für sie«, erwiderte Nick.
    »Bist du davon wirklich überzeugt? Du liebst sie, oder nicht?«
    »Und? Was gilt es?« Nick zuckte mit den Schultern. »Elena ist die Tochter eines Conde, ich hingegen bin der verschollene Erbe eines abtrünnigen Lords. Was könnte ich ihr schon bieten? Auf der Suche nach seiner Familie hat mein Vater das gesamte Vermögen der Familie Graydon durchgebracht. So wie die Dinge liegen, bin ich ein Habenichts mit einem leeren Titel und einem alten Piratenschiff – und weder das eine noch das andere ist dazu angetan, bei einer jungen Frau von Adel Eindruck zu schinden.«
    »Und du glaubst, es käme Elena auf solche Dinge an?« Der Pater schüttelte den Kopf. »Ich denke, du irrst dich. Elena sieht mehr auf dein Herz als auf deinen Besitz, und ich denke, du hast sie schon genug beeindruckt. Sie liebt dich ebenso sehr, wie dusie liebst, Junge, und die Entscheidung darüber, mit wem und auf welche Weise sie ihr Leben verbringen will, musst du schon ihr überlassen.«
    »Ihr meint …«
    »Natürlich.« O’Rorke deutete mit dem Kinn zum Niedergang. »Geh zu ihr, worauf wartest du?«
    Nick zögerte. »Ich kann nicht, Pater«, flüsterte er und starrte hinaus auf die See, die jetzt still und friedlich lag. Dabei krallte er die Finger so fest in das Holz der Reling, dass das Weiße an den Knöcheln hervortrat.
    »Ich verstehe.« Der Mönch nickte. »Würde es denn etwas ändern, wenn du nicht so unvermögend wärst, wie du glaubst?«
    »Was meint Ihr?«
    »Du weißt, was ich meine. Würdest du Elena gehen lassen, wenn du ihr ein Leben in Wohlstand ermöglichen könntest?«
    »Wohl kaum. Aber ich …«
    »Dann musst du erst recht zu ihr gehen«, fiel ihm der Pater ins Wort, löste die Kragenverschnürung seiner Kutte und zog sie über die Schulter herab. »Denn dies, Nicolas Graydon, ist dein Erbe.«
    Zu seiner Verblüffung sah Nick, dass die blassweiße Haut des Mönchs oberhalb des Schulterblatts eine Tätowierung aufwies – die wie eine Karte aussah. Es war der Umriss einer Insel, auf der ein Weg verzeichnet war und wo ein ›X‹ eine bestimmte Stelle markierte. Längen- und Breitengrade markierten die Position.
    »Was ist das?«, fragte Nick verblüfft.
    »Wie ich schon sagte, dies ist dein Erbe«, erklärte der Mönch lächelnd. »Nachdem er seinen gesamten Besitz auf der Suche nach dir und deiner Mutter verloren hatte, war dein Vater
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