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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse
Autoren: Stefan Wolf
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    „So“, meinte sie. „Jetzt kennen wir uns
gut genug. Sie zeigen mir, wie Sie wohnen, Gus. Denn erst wenn man die Wohnung
eines Menschen kennt, kann man sich ein wirkliches Bild von ihm machen. Dann
begleiten Sie mich zu meinem Hotel. Ich will mich umziehen. Anschließend führen
Sie mich aus. Ich will die tollste Disko der Stadt sehen.“
    „Gebongt. Äh... mein Zuhause wird Sie
begeistern. Es ist zwar nicht aufgeräumt, aber die Tapeten sind Klasse. Nur was
die Disko betrifft — ich bin kein großer Tänzer.“
    „Dann werden Sie sich heute abend
besonders bemühen, Gus“, verfügte sie und glitt geschmeidig vom Hocker.
    Ein milder Abend empfing sie. Die
Dämmerung war gekommen, in der Innenstadt die Betriebsamkeit gegangen. Wo Bürohäuser,
Geschäfte, Kaufhäuser und Ämter die Szene beherrschen, ist tagsüber Hektik,
aber spätestens um 19 Uhr veröden die Straßen. Was Beine oder Räder hat, zischt
dann ab in die Wohngegenden, in entferntere Stadtviertel und Randgebiete.
    Uckmann wohnte ziemlich zentral.
    Es war ein Wohnturm, sehr modern und
sehr teuer. Der ,lange Theo’, so hatte der Volksmund
ihn getauft, ragte mit 16 Stockwerken in den Großstadthimmel, ein schmales
Gebäude mit viel Glas und viel Stahl.
    Uckmann hatte ein Apartment im 12.
Stock. Frau Dießen, die Hausverwalterin, hielt ihn für einen Geschäftsmann.
    Uckmann fuhr einen Porsche, der außen —
immer — frisch gewaschen, aber innen verlottert war. Mit dem Taschentuch
staubte er den Nebensitz ab, bevor er Sophia zum Einsteigen einlud.
    Nach kurzer Fahrt hielten sie vor dem
Hochhaus, wo man um diese Zeit Parkplätze findet.
    Sophia klemmte ihre Handtasche unter
den Arm und legte den Kopf in den Nacken.
    „Sehr hoch, Gus.“
    „Ich wohne gern hoch. Oben ist die Luft
sauber, und man blickt über die Dächer.“
    Sie traten in die Eingangshalle. Die
kalte Marmor-Ausstattung wurde durch frische Blumen gemildert. Es roch betörend
nach Frühling, fast so stark wie Sophias Parfüm.
    Der Lift war besetzt, kam eben aus der
siebten Etage herab. Er hielt, die Tür öffnete sich, und Irmgard Dießen — die
Hausverwalterin — trat heraus.
    Sie war eine forsche Person mit
blondgefärbtem Kurzhaarschnitt und rosiger Haut, die meistens wie Speckschwarte
glänzte — trotz ihres Bemühens, mit Puder zu dämpfen. Frau Dießen war Mitte
Fünfzig und verwitwet. Sie galt als zuverlässig, kümmerte sich um alles und
hatte den Wohnturm samt seiner Bewohner fest im Griff. Sie konnte kaputte
Lichtschalter reparieren und schlug auch Nägel in die Wand.
    „’n Abend, Frau Dießen“, röhrte
Uckmann.
    Sie erwiderte den Gruß und sah Sophia
neugierig an.
    Im zwölften Stock stiegen sie aus dem
Lift. Uckmann wies auf die Tür gegenüber und machte ein Gesicht, als führe er
Sophia in die Schatzkammer des letzten Maharadschas (indischer Großfürst).
    „Die Miete ist sündhaft teuer. Ich kann
Ihnen sagen, Sophia, bevor hier alle Apartments vergeben waren, hat’s Monate
gedauert. Der letzte Mieter — im zweiten Stock — ist erst nach einem Jahr
eingezogen. Aber der Aufwand lohnt sich. Man hat die Stadt vor der Nase, man
hat allen Komfort, in der Tiefgarage ist Platz für jeden Wagen, und die
Wohnungen sind ausgestattet wie in einem Fünf-Sterne-Hotel. Bitte, einzutreten!“
    Er grinste wie eine Öllache und ließ
die Frau vorangehen.
    Sie trat in die Diele. Er machte Licht.
Sie ging noch zwei Schritte, drehte sich um und sah ihn an. Ihr Lächeln war
erloschen, in ihren Bewegungen die Anmut gestorben.
    Er merkte das und dachte: Um Himmels
willen! Gefällt ihr meine Bude nicht? Sie hat ja noch gar nichts gesehen.
    Sophia öffnete ihre Handtasche. Die
lackierten Krallen zogen ein Geldbündel heraus. Ein Gummiband hielt die Scheine
zusammen. Das Bündel fiel auf die Garderoben-Ablage.
    „Das sind 10 000 D-Mark, Gus. Als
Anzahlung. Die gleiche Summe erhalten Sie, sobald Sie den Auftrag erledigt haben.“

    „Häh?“
    Er hatte die Tür hinter sich zugekickt.
Entgeistert starrte er die Frau an.
    „Ich habe es so eingerichtet, daß wir
uns scheinbar zufällig kennenlernen, Gus. In Wahrheit bin ich vorhin mit dem
Jet (Flugzeug) aus Mailand gekommen, um Ihnen den Auftrag zu
übermitteln. Gianni Paresano schickt mich. Aber das vergessen Sie bitte sofort.
Sie haben bereits für ihn gearbeitet. Er war mit Ihnen zufrieden. Deshalb hat
er Sie ausgewählt für diese Sache. Nehmen Sie an?“
    „Wie? Was? Ja, natürlich. Bei Paresano sage
ich niemals nein.
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