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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse
Autoren: Stefan Wolf
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einschätzte, einen geschlossenen Umschlag: die Einladung — mit dem Absender
TYROLER HOF, Poststation Enge im Enge-Tal.
     
    *
     
    Der Mai entfaltete das Grün an den
Bäumen, und die Abgase über der Großstadt rochen schon ein bißchen nach
Frühsommer.
    „So“, sagte Gaby, als die vier Freunde
vor dem Rathaus ihre Drahtesel losmachten, „das wäre überstanden. Jetzt kommt
der lustige Teil. Wir sollten gleich ins Präsidium fahren und meinem Papi die
Einladung geben. Hoffentlich hat er Zeit am Wochenende.“
    Alle hofften das.
    Karl sagte: „Notfalls könnten wir auch
allein reisen. Aber ohne deinen Vater wären wir wie...“
    „...eine Schlange ohne Schwanz“, meinte
Klößchen, dem es heute an Zurückhaltung mangelte.
    „Meinetwegen“, nickte Karl und rückte
an seiner Nickelbrille. „Jedenfalls hat er am meisten gezogen. Ihm gebührt der
Löwenanteil der Ehre. Ich fände es beknackt, wenn er nicht dabei wäre.“ Er
stieß ein Gluckslachen aus. „Ich weiß schon, er wird bestimmt deine Mutter
mitnehmen, Pfote — wenn’s sein muß, auf eigene Kosten. Aber das muß
wahrscheinlich nicht sein. Der Hotelbesitzer Zinke-Schollau verwöhnt sicherlich
auch einen sechsten Ehrengast.“
    „Was das betrifft, sehe ich schwarz“,
meinte Gaby. „Mami kann zur Zeit nicht weg. Ihre Freundin hat sich ein Bein
gebrochen. Die Melanie. Kennt ihr, ja? Der Gipsverband reicht ihr bis zur
Hüfte. Melanie kann nicht aus dem Bett. Weil sie alleinstehend ist, kümmert
sich Mami um sie. Mehrmals am Tag fährt sie zu ihr.“
    Wie das Gabys Mutter nur schafft?
dachte Tarzan. Sie führt das Geschäft, macht den Haushalt, versorgt die Familie
und jetzt auch die Freundin. 80 Stunden Arbeit in der Woche reichen dazu nicht
aus. Trotzdem ist Frau Glockner immer gut gelaunt. Nein, nicht trotzdem — sondern
deshalb. Das ist der Knackpunkt, den die Affenfaulen nicht checken (begreifen).
    Sie radelten los. Der frühe Nachmittag
füllte die Innenstadt mit Menschen und Fahrzeugen. Alle schienen es eilig zu
haben — besonders die mit den heißen Feuerstühlen. Auf den Radwegen war kein
Durchkommen. Entweder parkten dort Autos, oder Rollschuhfahrer übten
ausdauernd.
    Tarzan hatte seine Urkunde zweimal
gefaltet und in der Blousontasche verstaut. Karl transportierte die Ehrung auf
gleiche Weise. Gaby benutzte einen Henkelkorb, der am Lenker hing, Klößchen den
Gepäckträger.
    Um 14.59 Uhr erreichten sie das
Polizei-Präsidium — jedenfalls den Vorplatz, der ein halbes Fußball-Stadion
aufnehmen könnte. Ohne die Rowdys.
    „Fleh!“ rief Tarzan, dem sein
Adlerblick vorauseilte. „Warten! Wir wollen zu Ihnen, Herr Glockner.“
    Sein Ruf verhallte, ungehört von
Kommissar Glockner, der die TKKG-Bande nicht bemerkte, sondern soeben abfuhr.
Er saß auf dem Beifahrersitz eines Dienstautos, das aber keine „Uniform“ trug
und nicht wie ein Polizeifahrzeug angemalt war, sondern wie ein Privatwagen
aussah. Jansen, Glockners neuer Mitarbeiter, chauffierte.
    Der Wagen bog in die Michaelis-Straße
und zeigte den vier Freunden das Fleck.
    „Um eine Nasenlänge zu spät“, sagte
Gaby. „Aber wir können in Papis Büro warten.“
    Sie hielten vor dem Portal. Dort stand
noch der Uniformierte, der die Kette zur Hofeinfahrt wieder eingehakt hatte,
nachdem der Glocknersche Wagen durchgefahren war.
    Er kannte die TKKG-Bande, lächelte und
versuchte sich als Hellseher, als er sagte: „Du wolltest zu deinem Vater, Gaby?“
    „Wollte ich, Herr Leumel. Wir alle
wollten. Wann kommt er denn wieder?“
    „Keine Ahnung. Ich hörte nur, daß sie
jemanden im Letzten-Schluck treffen wollen.“
    „Wo?“ Gaby blies sich den Pony aus den
Augen, als könnte sie dadurch besser hören.
    „Im Letzten-Schluck. Das ist
eine Kneipe in…“
    „…der Faulenberg-Straße“, rief
Klößchen. „Kenne ich. Drin war ich noch nicht. Aber ich weiß, wo das ist. Gar
nicht weit von hier.“
    Der Polizist nickte, meinte
abschließend: „Also, Gaby, du wirst wirklich jeden Tag hübscher“, grinste und
verschwand durchs Portal.
    Leumel hat recht, dachte Tarzan. Was
nun? Wenn wir im Büro warten, kommt alle Naselang einer rein und glaubt, er
müsse Pfote angraben (mit ihr Birten), indem er ihr zusäuselt, sie werde
jeden Tag hübscher. Diese Staatsdiener!
    „Ich schlage vor“, sagte er, „wir
brettern zur Faulenberg-Straße. Im Letzten-Schluck ziehen wir uns einen
Schluck Cola rein. Oder Tee. Wenn dein Vater dort dienstlich rummacht, Pfote,
tun
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