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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse
Autoren: Stefan Wolf
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sich an die linke Kurve, legte seine
Zeitung auf die Theke und nickte der müden Serviererin zu. Sie polierte Gläser,
brachte ihm die Speisekarte und fragte, was er trinken wolle.
    „Wie immer“, bestellte er.
    „Ein großes Bier?“ fragte sie unsicher.
    „Ich trinke kein Bier. Nur Weißwein.
Allmählich könnten Sie sich das merken.“
    „Entschuldigen Sie.“
    Die Serviererin entsann sich genau, daß
er gestern abend Bier getrunken hatte. Drei große. Aber es hätte nicht zu ihrem
Job gepaßt, mit ihm zu streiten. Außerdem war sie nicht die Chefin, sondern
angestellt auf Probe und auf Trinkgeld erpicht.
    Uckmann bestellte Zwiebelkuchen und ein
Riesen-Baguette (Stangen-Weißbrot) und vertiefte sich in seine Zeitung.
    Auf hohen Absätzen trippelte jemand
herein, von einer Parfüm-Wolke umhüllt. Aber Uckmann blickte nicht sofort auf.
Das wollte er sich aufheben wie ein Bonbon. Er hörte, wie die Frau Platz nahm —
an der anderen Seite der Theke.
    Als sie mit der Bedienung redete, klang
ihre Stimme rauchig, aber nicht nach Zigaretten, sondern wie Samt aus der
Umgebung eines Kaminfeuers.
    Er schielte über den Rand seiner
Zeitung.
    Hinreißend! Eine Südländerin, eine
glutäugige Schönheit. Sie trug ein hochmodisches Kostüm, in dem sich acht
leuchtende Farben ergänzten, dazu pfundweise Schmuck und grellrote
Stöckelschuhe, von denen er den linken sehen konnte. Auf der Theke lag eine
grellrote Handtasche.
    Er hob den Kopf. Als ihn ein Blick aus
ihren Glutaugen traf, knipste er sein Gus Uckmann-Lächeln an.
    Es war von der Sorte, daß Kinder
schreiend davonliefen. Er hatte auch wenig Hoffnung, daß diese Superschnecke
auf seinen Flirtversuch ansprang. Aber das Wunder geschah. Die Frau lächelte
zurück.
    Die hat einen Blick für Typen! dachte
er. Die weiß, was ein Kerl ist. ‘ne Italienerin? Bestimmt. Aus Rom! Jede Wette.
Und hat in der Mode-Branche zu tun. Superschick — und höchstens 28. Vielleicht
sogar jünger, falls sie ein Luderleben führt. Denn das kratzt bekanntlich am
Lack.
    Die Italienerin öffnete ihre Handtasche
und nahm ein Zigarettenpäckchen heraus. Aber es waren keine Zigaretten, sondern
bleistiftlange Zigarillos, dunkel wie Klößchens Zartbitterschokolade.
    Als sie die Nikotinnudel an die Lippen
führte, stand Uckmann neben ihr.
    Grinsend ließ er sein goldenes
Feuerzeug aufschnappen. Während er ihrem Zigarillo zu einem brennenden Ende
verhalt, hielt er ihr den Tausendzünder lange genug unter die Nase, um
vorzuführen, daß es sich wirklich um Gold handelte.

    „Danke“, sagte sie mit rauchiger Stimme
durch das erste Rauchwölkchen. „Ich habe Schnecken in Knoblauch bestellt. Sind
die hier empfehlenswert?“
    „Sind sie“, versicherte er. „Ich liebe
Schnecken. Superschnecken, Sahneschnitten, Supermütter. Kurzum: Frauen wie Sie.“
    „Wie bitte?“
    „Verzeihung! Mein Temperament
galoppiert. Aber warum soll man einer schönen Frau nicht sagen, daß sie schön
ist. Darf ich mich zu Ihnen setzen? Falls mein Zwiebelkuchen, der gleich kommen
wird, Sie nicht stört. Aber ihr Knoblauch und meine Zwiebeln — da haben wir uns
nichts vorzuwerfen, hahahah!“
    Die Serviererin hatte zugehört und
zuckte mehrfach zusammen. Doch die Italienerin ließ ein amüsiertes Lächeln auf
ihren Lippen. Sie waren blutrot geschminkt — etwa wie Blutgruppe null.
    Er bestieg den Barhocker neben ihr und
stellte sich vor.
    „Gus Uckmann, Signorina. Oder täusche
ich mich?“
    „Nein. Die Signorina stimmt.“
    „Aus Rom?“
    „Aus Mailand.“
    „Sie sprechen hervorragend deutsch.“
    „Nicht nur deutsch. Ich beherrsche fünf
Sprachen.“
    „Dolmetscherin?“
    „So ähnlich. Übrigens heiße ich Sophia...“
    Ihren Nachnamen verstand er nicht. Er
klang wie eine italienische Vorspeise mit allerhand Zutaten.
    „Darf ich Sie Sophia nennen? Ihr
Familienname geht mir nicht über die Zunge.“
    Er durfte. Die Speisen wurden serviert.
Man unterhielt sich. Er pries die Sehenswürdigkeiten der Stadt an, obwohl er
noch kein Museum und keine Kunst-Galerie von innen gesehen hatte. Sie tranken
Wein. Er bestellte den besten Soave (italienischer Weißwein), der auf
der Karte stand. Und Signorina Sophia hielt so kräftig mit, als wäre sie in
einer Taverne (italienisches Wirtshaus) großgeworden.
    Uckmann war hingerissen. Die Zeit
sauste vorbei. Sie tranken Espresso zum Nachtisch, und Uckmann durfte dann ihre
Zeche übernehmen, obwohl die Dame wahrlich so aussah, als könnte sie auch aus
eigener Tasche
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