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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse
Autoren: Stefan Wolf
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die Gäste im Tyroler Hof wie im
Gefängnis gefühlt haben. Sie wurden mit dem Hubschrauber rausgeflogen — natürlich
nur die Gäste. Die Zinke-Schollaus und ihr Personal blieben.“
    „Wieviele Köpfe zählt die Familie
eigentlich?“ fragte Klößchen.
    „Drei“, antwortete Gaby. „Der Vater,
eine erwachsene Tochter namens Sofie und der kleine Otto. Die Mutter lebt nicht
mehr.“
    „Gäste können das Hotel also nur mit
dem Wagen erreichen“, dachte Tarzan laut. „Wo die Bahn endet — das haben wir
gesehen. In Meyering, mindestens 20 Kilometer von hier. Ist ziemlich kühn,
finde ich, daß Herr Zinke-Schollau sein Hotel so menschenfern und abseits der
Zivilisation errichtet hat. Das hätte geschäftlich auch in die Hose gehen
können.“
    Glockner lachte. „Man muß nicht
unbedingt mit dem Privatwagen anreisen, Tarzan. Zwischen Meyering und dem
Tyroler Hof verkehrt dreimal täglich ein Bus. Mit dem kommen die meisten Gäste.
Nicht jeder, zumal wenn er weit aus dem Norden kommt, möchte stunden- oder
tagelang mit dem eigenen Wagen fahren.“
    Sie passierten jetzt die Talenge.
    Im Gebüsch jenseits des Flüßchens
flatterte ein schwarzer Vogel auf.
    „Was für ein prächtiger Rabe!“ staunte
Klößchen.
    „Das war eine Gebirgsdohle“, belehrte
ihn Karl. „Ist eine Art Rabe, nur kleiner.“
    „Wie ich und die Riesen“, meinte
Klößchen.
    „Was?“
    „Ich bin auch eine Art Riese, nur
kleiner.“
    „Und runder“, lachte Gaby. „Aber an
diesem Wochenende willst du dich ja der Nahrung enthalten, wie du versprochen
hast. Das...“
    „Was?“ rief Klößchen. „Träumst du? Mit
keinem Wort habe ich das versprochen. Nicht mal in den Sinn käme mir diese Art
von Selbstmord. Im Gegenteil! Die Berg- und Höhenluft schärft meinen Appetit.
Ich bin mitgekommen, um mich verwöhnen zu lassen. Leiblich!“
    „Hoffentlich weiß die Hotelküche, was
auf sie zukommt“, flachste Tarzan. „Herr Zinke-Schollau weiß es offensichtlich
nicht. Sonst hätte er sich die Einladung verkniffen.“
    Die letzte Strecke auf einsamer Straße
legten sie schweigend zurück. Aus den Bergwänden schien bläuliche Dämmerung zu
kriechen. Bis zur Baumgrenze waren die Hänge bewaldet. Aber Geröll-Lawinen
hatten Schneisen gebrochen, sogenannte Sandreißen, die von ferne aussahen, als
müßten die Berge mal gründlich geputzt werden. Das Enge-Tal weitete sich, je
weiter sie fuhren. Baumgruppen wechselten mit Grasflächen, die noch fahlgrau
waren vom Winter. Wenn Schnee lag, hechelten hier die Langläufer über die
Loipen. Im Sommer weideten Kühe. Zur Zeit stieg nur Abendnebel aus dem
sumpfigen Grund. Gaby meinte, es sei schön und schaurig zugleich. Klößchen
behauptete, um einen der Felsblöcke hätte eben eine Gemse geschaut.
    „...mit meterlangen Hörnern!“
    „Dann war es ein Kaffernbüffel“, meinte
Karl.
    Die Straße wand sich durch Wald.
Dahinter, endlich, sahen sie den Tyroler Hof.
    Das Hotel stand am Ende des Tals, wo
kein Weiterkommen mehr ist. Es war ein prachtvoller Bau, dreigeschossig, im alpenländischen
Stil, mit viel dunklem Holz, Lüftlmalerei an den Außenwänden und umlaufenden
Baikonen. Als Kern des Ganzen hatte offenbar ein altes Bauernhaus gedient, dem
jetzt die modernen Anbauten zu fünffacher Breite verhalten. Hinter vielen
Scheiben erstrahlte Licht.
    „Sport- und Kurhotel Tyroler Hof“,
kündigte Karl an. „Es verfügt über 120 Betten, Sauna, Fitneßraum, Hallenbad,
großes Restaurant, Grillroom und Zirbelstube. Über ein Weinstübchen und eine
Bar. Erfahrene Alpinisten können von hier aus Bergtouren unternehmen. Skihänge
sind in nächster Nähe des Hauses. Zwischen dem Hotel und dem Dorf Enge stehen
32 Kilometer Wanderwege zur Verfügung. Die Küche ist bekannt für ihre
Wild-Spezialitäten.“
    „Hast du den Hotelprospekt auswendig
gelernt?“ erkundigte sich Gaby.
    „Einmal durchgelesen. Das genügt.
Schließlich besitze ich ein Computer-Gehirn.“
    Glockner hielt vor dem Portal. Kaum daß
Gaby — als erste — im Freien stand, war schon der Hausdiener da. Mit freundlichem ,Grüß Gott, die Herrschaften!’ stellte er sich
neben dem Kofferraum auf.
    Er hätte das gesamte Gepäck an sich
gerissen, wirkte aber schon etwas ältlich. Für Tarzan war es
selbstverständlich, daß er seinen Seesack, der über und über von Freunden
beschriftet war, selbst schleppte.
    Die Hotelhalle war tirolerisch
eingerichtet. Logo! Eine Handvoll Gäste verteilte sich in bäuerliche Sessel.
Man las Zeitung,
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