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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse
Autoren: Stefan Wolf
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nippte am Kaffee oder wartete darauf, daß es Zeit wurde zum
Nachtmahl, wie hier das Abendessen heißt.
    Ein wohlgenährter Herr in Landestracht
eilte auf die Glocknersche Gruppe zu.
    Tarzan sah sofort, daß es sich nur um
Xaver Zinke-Schollau handeln konnte, denn die Ähnlichkeit mit seinem Sohn Otto
war frappant (überraschend).
    „Herr Glockner?“ rief er — und meinte
den richtigen.

    Dann fand die herzlichste Begrüßung
statt, mit der Hotelgäste jemals empfangen worden sind. Der Hotelier hatte
feuchte Augen und umarmte jeden der Lebensretter. Der kleine Otto kam hinzu und
hüpfte vor Freude von einem Bein aufs andere. Die Gäste, die das miterlebten,
schmunzelten. Sie schienen zu wissen, weshalb der rote Teppich ausgerollt war.
    Hinter der Rezeption (Empfangstisch) stand eine hübsche junge Frau. Sie mochte Anfang Zwanzig sein und hatte die
gleichen braunen Augen wie Xaver und Otto.
    Das wird Sofie sein, folgerte Tarzan messerscharf.
    Sie war’s, kam heran, machte sich
bekannt und hieß die fünf auch in ihrem Namen willkommen.
    „Für Sie, Herr Glockner“, sagte der
Hotelier, „habe ich ein Doppelzimmer reserviert. Ich nahm doch an, Sie kämen
mit Ihrer Gemahlin.“
    Der Kommissar erklärte, weshalb seine
Frau nicht dabei war, fügte aber hinzu, daß er im Sommer — als zahlender Gast —
wiederkäme, denn die wuchtige Schönheit der Berge hätte es ihm angetan, und das
prächtige Haus garantiere ganz sicher einen wundervollen Aufenthalt.
    „Wir werden alles tun, damit Sie sich
wohlfühlen“, sagte Zinke-Schollau. „Ohne Ihr und Euer“, wandte er sich an die
TKKG-Bande, „mutiges Eingreifen hätte ich jetzt keinen Sohn mehr. Nicht wahr,
Otto“, richtete er auch gleich eine Warnung an seinen Knirps, „du wirst dich
nie wieder leichtfertig aufs Eis begeben.“
    „Nie wieder nicht!“ nickte Otto.
    Sofies Lächeln strahlte die fünf an.
    „Sie sind zwar unsere Gäste. Aber als
Ausländer muß ich Sie dennoch bitten, die Anmeldeformulare auszufüllen — jeder
seins. Mit eigener Handschrift“, setzte sie spitzbübisch hinzu.
    „Aber, Sofie!“ rügte ihr Vater. „Das
hat doch Zeit bis nachher.“
    „Hat’s wohl“, nickte sie. „Doch, Vater,
du weißt. Ich bin ganz versessen, die Hilfsbereitschaft und Einsatzfreude zu
entdecken.“
    Das klang wie Chinesisch. Weder Glockner
noch die TKKG-Bande verstanden den Sinn.
    Zinke-Schollau lachte. „Meine Tochter
hat ein Hobby, das mich manchmal ganz narrisch macht. Sie befaßt sich nämlich
mit Graphologie.“ Er sah die vier jugendlichen Gäste an. „Ihr wißt, was das
ist?“
    Karl verzog keine Miene, als er sagte: „Graphologie
ist die Deutung der Handschrift als Ausdruck des Charakters eines Menschen.
Begründer der Graphologie war der französische Abbé (katholischer
Geistlicher) Michon, der von 1806 bis 1880 — Verzeihung! — bis 1881 lebte.
Er stellte ein System der Einzelmerkmale von Handschriften auf. Und gab ihm
auch den Namen Graphologie. Heute erhebt seine Methode Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit und steht auf psychologischer (seelenkundlicher) Grundlage.“

    Die Zinke-Schollaus machten große
Augen.
    „Sind Sie... bist du... Graphologe?“
fragte Sofie.
    „Karl ist Schüler“, lächelte Glockner, „aber
ungewöhnlich klug und weiß beinahe alles.“
    „Respekt!“ meinte der Hotelier. „Vielleicht,
Sofie, kann dir Karl bei der Deutung der Handschriften helfen.“
    „Leider nicht“, lachte Karl. „Mir fehlt
praktische Erfahrung. Nur in der Theorie bin ich beschlagen.“
    „Jedenfalls“, erklärte Zinke-Schollau, „stürzt
sich Sofie auf jede Schriftprobe, die sie erwischen kann.“ Er senkte die
Stimme. „Fast jeder Anmeldezettel muß dazu herhalten, daß sie den Charakter des
Gastes analysiert (untersucht). Und — Sakrament! — sie hat jedesmal
recht. Das ist praktisch. Wir wissen dann von Anfang an, mit wem wir ‘s zu tun
haben. Ob Nörgler im Haus sind, Geizhälse, Betrüger oder Hypochonder (eingebildeter
Kranker). Unser Personal kann sich darauf einstellen und entsprechend
verhalten.“
    „Phantastisch!“ meinte Glockner
überrascht.
    „Vielleicht sollte ich Ihnen meine
Schriftprobe verweigern.“ Tarzan grinste Sofie an. „Ich bin mir nicht sicher,
ob ich sonst ausquartiert werde und im Stall hausen muß.“
    „Ganz sicher nicht“, schmunzelte der
Hotelier. „Wir haben schon Schlimmere als dich verkraftet. Du bist Tarzan,
nicht wahr? Wenn wir dich im Fitneßraum einschließen, haben wir Ruhe vor
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