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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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Stallungen auf der anderen Seite der Themse, noch hinter dem Parlament, eine gut gehende Schmiede und ein Eisenwerk und bot James Arbeit an. Also zogen sie um. In direkter Nachbarschaft war die spanische Kapelle. Sie nahmen sich vor, »die Katholiken einfach zu ignorieren.«
    Man hoffte auf glückliche Fügungen, vor allem auf niedrige Preise durch eine günstige Ernte im nächsten Jahr. Und mit den Jahren hoffte man immer häufiger auf das Wegbleiben eines Mannes aus Frankreich, den alle Buonaparte nannten.
    Michael war immer kleiner als Gleichaltrige. Er konnte sich nicht vorstellen, über Politik zu reden und so ein schweigsamer, leidensfähiger, starker, kranker Mann wie sein Vater zu sein. Den Hund der Nachbarn beobachtete Michael ausgiebig, wie der einfach nur froh war, wenn er sich mit irgendwem ein paar Minuten balgen konnte. Oder die junge Katze: Sie streunte im Hof und schien über die nächste Mahlzeit und ihren Schlaf hinweg nichts zu fragen und vielleicht doch alles zu wissen oder nichts wissen zu wollen von Buonaparte, vom Hunger, der morgen kam, oder von der Plackerei. Mit dem Mut eines Kindes, das nicht viel wissen muss, wusste Michael, wenn er mit einem Stock Bilder in den Sand des Hofes malte und mit dem Fuß wieder verwischte, dass nichts so bleiben konnte. Außer dieser Einsicht.
    Dank Margarets Sturheit, die sie mit einem Lächeln garnierte, bekamen alle Kinder Schulplätze. Michael fiel mit einem Sprachfehler auf und mit einem um eine Nummer zu großen Kopf. Margaret sagte zu ihrem Mann: »Er hat eine unmenschliche Intuition.«
    Der Sprachfehler betraf das r , das nicht rollen wollte, sondern rutschte, sodass sein Bruder Wobert Fawaday hieß. Eine Lehrerin gab Robert daher einen halben Penny und den Auftrag, einen Stock zu kaufen, mit dem er den Fehler aus seinem kleinen Bruder herausprügeln solle. Aber Robert hatte eine unverbildete Seele und warf den schlechten halben Penny auf dem Weg nach Hause über eine Mauer. Beim Abendbrot erzählte er den Vorfall in aller Ruhe, und aus der zweifellos sehr gut gemeinten Lebenshilfe wurde ein Schulwechsel der Brüder. Margaret Faraday hatte einen Gott, der ihr beistand, und dazu Prinzipien.
    Mit Schreiben, Lesen und dem geringsten Denkbaren im Rechnen musste Michael auskommen. Er fand keinen Grund, sich zu beklagen, und würde auch sein Leben lang nach keinem suchen. Er ging arbeiten, als Laufbursche beim Buchbinder Riebau, dessen Laden nur eine gute Minute von der Schmiede entfernt in der Blandford Street lag.
    »Riebau«, sagte James keuchend, »Riebau!«
    Der Buchbinder war vor allem durch die Herausgabe der religiösen Traktate von Swedenborg und als Autor einer Denkschrift über Richard Brothers aufgefallen, der für seine Erleuchtungen berüchtigt war. Brothers hatte zum Beispiel verkündet, der Prinz der Hebräer zu sein und deshalb dem König nicht dienen zu können. Vielmehr gebühre ihm selbst die Krone! Seit Jahren saß er als politischer Irrer im Gefängnis.
    »Riebau!«, sagte James empört und keuchend.
    Margaret blieb warm und freundlich: »Er ist Buchbinder.«
    Ein Jahr lang trug Michael die Zeitung des Tages von Abonnent zu Abonnent, die alle Zeitungssteuer sparen wollten oder mussten, und dieses Jahr mit den Zeitungen änderte alles. Es war nicht das Papier, das Michael liebte, und es waren nicht die Buchstaben oder die Druckerschwärze, die an den Fingern haften blieb und abends abgewaschen wurde. Er liebte nicht den Geruch der Zeitung oder ihr Rascheln oder wie man mit ihr dasaß oder mit ihr unter dem Arm ging oder gar das Geld, das die Leser Riebau zahlten, das die Zeitung an die Reporter zahlte oder das Riebau an ihn zahlte. Er liebte, was die Zeitung ihm zu geben vermochte: die Welt.
    Michael las sie.
    Jede Seite war wie Luftholen und an die Hand genommen werden. Jede Neuigkeit ein Versprechen, das eines Tages eingelöst werden konnte: auch ein Teil der Welt zu sein. Seit er Zeitungen austrug, brachte jeder Tag etwas aus der Zukunft, in der er selber einmal ankommen würde. Nelson zum Beispiel, wusste Michael bald, hatte mit vierzehn von einem Segelschiff aus das Packeis bei Spitzbergen gesehen. Später schlug er Frankreich am Nil und verpasste Buonaparte dabei nur um fünfzehn Minuten.
    An seiner Victory , dem Schiff, mit dem er die französische Flotte im Mittelmeer zwang, sich zu stellen oder im Hafen zu bleiben, war zehn Jahre gebaut worden. Die Bordwände hatten eine Dicke von bis zu drei Fuß, und an Bord waren
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