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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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hin. Im Ohr spritzte es, und er wusste nicht, was es war.
    Davy, las Michael in den Wochen danach Stück für Stück, war der Mann, der mit Lachgas experimentiert hatte. Wenn man es einatmete, ließen Schmerzen nach. Humphry Davy wollte es in der Medizin einsetzen, und, nicht genug, die Royal Institution , bei der Humphry Davy Professor war, hatte sich zur Verbesserung der Situation der Armen gegründet. Ein Jahr vor dem Ende des letzten Jahrhunderts. Das genügte.
    Wenn Michael abends zu Bett ging, war jetzt Davy bei ihm. Davy war bei ihm, wenn er bei seiner Mutter saß, und vor allem war Davy bei ihm, wenn er seinen Vater husten und keuchen hörte und wenn sie beteten. Immer war Humphry Davy da, der die Welt anhalten und wieder neu anschubsen wollte.
    Dann hielt Davy noch einen Vortrag. Einen, der sich in London auch unter den Nichtlesern herumsprach. Die Times berichtete: Wilde und gefährliche Theorien von zu ambitionierten und irregeführten Leuten würden, hatte Davy gesagt, zeitweilig der Literatur Schande bereiten. Aber »echte Philosophie« könne niemals gering geschätzt werden! Der Keim der Verbesserung sei, mancherorts noch unbemerkt, in die Menschen gesät! Der Frühling und das Wachstum würden früher oder später kommen, und selbst wenn es noch dauerte, kommen würden sie.
    »Betrachten wir die zukünftigen Hoffnungen der Menschheit«, hatte Davy gesagt, »so dürfen wir uns auf einen Zustand der Gesellschaft freuen, in dem die verschiedenen Klassen mehr zu ihrer gegenseitigen Unterstützung beitragen, als es bislang der Fall ist.«
    Normalerweise las Michael im Laufen. Jetzt setzte er sich auf eine Mauer. Er sah sich um, vergewisserte sich, dass er nicht auffiel. Dann vergaß er seine Umgebung.
    »Dieser Zustand kommt schnell«, hatte Davy gesagt.
    Wissenschaftler und Handwerker würden sich täglich besser verstehen. Der Künstler, der früher noch gegen wissenschaftliche Prinzipien eingenommen gewesen sei, mache sich jetzt neue Prozesse zunutze, sobald sie die Arbeit erleichterten. Die ungleiche Verteilung von Eigentum und Arbeit, die Differenzen in Rang und Bedingung seien die Quellen der Energie eines zivilisierten Lebens, sogar der Grund für Veränderung und die Seele der Gesellschaft ...
    »Wenn man bedenkt«, so Davy laut der Zeitung, »dass die Menschen in der Lage sind, aufgeklärter und glücklicher zu sein, dann kann man nur erwarten, dass die verschiedenen Teile der Gesellschaft vereint sein sollten mittels Wissen und nützlicher Kunst, als gleiche Kinder einer Bestimmung.«
    Außerdem erwarte er, dass keine Energie nutzlos sei und keine Anstrengung mehr verschwendet!
    War es möglich, fragte sich Michael, dass jemand so einfache Wahrheiten auch so einfach aussprach? Wieso sollte all das falsch sein und alles, was Nelson war und machte, was Buonaparte war und machte, richtig und folgerichtig? Dass, wie er kaum zu denken sich getraut hatte, falsch war, was Nelson und Buonaparte waren, das war also richtig. Oder konnte zumindest richtig sein, denn jemand, der ernst zu nehmen war, fand das auch.
    Schließlich hatte Davy auch noch gesagt, man solle nicht zu weit nach vorne sehen und davon träumen, dass »Arbeit, Krankheit und gar der Tod ganz verschwinden«, aber durch Analogien einfacher Tatsachen ergebe sich bereits eine menschliche Entwicklung aus dem gegenwärtigen Zustand heraus, und, betrachte man einen vernünftigen Zeitraum, »so sieht man von einem schönen hellen Tag bereits den Sonnenaufgang!«
    Michael nahm den Blick von der Zeitung. Er saß noch immer auf der Mauer, sie war kühl, wie er jetzt bemerkte. Die Luft war feucht, und er schmeckte den Rauch. Seine Arme und Beine waren warm. Alles, er und die Mauer und die Häuser um ihn herum, sah aus wie vorher, und doch nicht wie vorher.
    Eine alte Frau wendete den Blick von ihm ab, als Michael sie bemerkte. Sie hatte beobachtet, wie er den Kopf in das Blatt senkte. Vielleicht fragte sie sich, ob er wirklich lesen könne, oder ob er nur so tat. Jetzt fühlte sie sich ertappt, lächelte, drehte sich um und setzte sich langsam in Bewegung. Einen Fuß vor sich herschiebend, denn zum Anheben reichte ihre Kraft offenbar nicht aus, obwohl das Schieben noch anstrengender sein musste. Der Stock in ihrer Hand vergrößerte ihr Zittern ins Sichtbare. Es sah aus, als ob sie all ihre Kraft aufbrachte, um mit dem Stockende auf einen Punkt zu zielen, bevor sie den Stock darauf absetzte und ihr kleines Körpergewicht auf ihn stützte, um den
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