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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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anderen Fuß hinter sich herzuziehen und ihr Gewicht darauf zu verlagern, bevor sie den Stock wieder anhob, um zitternd von Neuem zu beginnen.
    Beim Lesen hatte Michael sie nicht bemerkt, und viel fehlte nicht, dass er ihr jetzt hinterhergelaufen wäre und ihr von Davy erzählt hätte.
    Er faltete die Zeitung zusammen. Nach einem Blick auf seine im Schlamm stehenden Stiefel und einem in den Himmel rannte er los, an der Frau vorbei.
    Er war Laufbursche. Morgens holte er die Zeitungen beim Druckhaus ab und lief den ganzen Tag mit ihnen durch die Stadt, das war nicht schlecht oder ungesund. Er bekam dafür ein wenig Geld, das er zu Hause abgab. Er hatte vom Lachgas gehört. Ein eigenartiges Wort für ein wohl eigenartiges Ding. Sein Vater gehörte zu den Armen, und er selbst gehörte auch dazu. Vielleicht gehörte er aber schon weniger dazu als sein Vater, immerhin las er Zeitungen. Wer machte das schon?
    Egal. In den Augen seines rennenden Körpers tanzte London, Häuserzeilen flogen mit jedem Schritt und sprangen mit jedem Schritt auf, ohne zu zerbrechen. Er war leicht und schnell und
beweglich. Einmal drehte er sich, um einem Zusammenstoß mit
einem anderen Laufburschen auszuweichen, um seine Achse, die Zeitung an die Brust gedrückt, kam wieder auf, schnellte unter dem Ellbogen des anderen hindurch um die Ecke, die Beschimpfung, er solle aufpassen, im Rücken.
    Alles hatte gerade erst angefangen.
    In Londons Augen, dachte er, tanze ich.
    Es würde sich herausfinden lassen, was genau Lachgas war. Wie genau es sein würde, es einzuatmen, und sogar, was es genau machte. Ob es seinem Vater helfen würde. Dann würde er, Faraday, wie sie ihn respektlos riefen, nicht mehr ohne das Wissen sein müssen, was Lachgas war, er würde mit dem Wissen sein. Vielleicht würde er sogar begreifen können, was Elektrizität war, die, so hatte er gelesen, tote Froschschenkel zum Zucken brachte. Er würde, wann immer er etwas Neues gelernt hatte, die Dinge anders ansehen können um sich herum. Sie würden weniger bedrohlich sein oder bedrohlicher, weil man lernte, wo welche Gefahren waren. Auch gut. Mit jeder Kleinigkeit, die er mehr wusste, die er mehr sah, die er verstand, würde aus dem Müssen das Können werden.
    Im Laden fand er die Laufkundschaft Riebaus vor, wie immer. Sie war zahlreich, gut gelaunt. Sie war illuster. Sie diskutierte, ob Horatio Nelson die Witwe Lady Emma Hamilton heiraten dürfe.
    »Er muss«, sagte ein Mann mit hellem Hut und weißen Koteletten, und die anderen lachten, während ein anderer vervollständigte, »sich erst einmal von Lady Nelson scheiden lassen.«
    »Nur, dass sie sich niemals in einem Scheidungsgericht sehen lassen wird«, meinte ein dritter fröhlich.
    Dann beugten sie sich über ein neues Buch, und Riebau entgingen nicht die wachen Augen seines Lehrlings, der auch dann nicht mitgelacht oder einen Kommentar abgegeben hätte, wenn er dazu drei Leben Zeit gehabt hätte. Ohne dass Margaret Faraday etwas hätte sagen müssen, ahnte Riebau, was in dem Jungen verborgen sein mochte, der auf seinen Wegen von Zeitungsleser zu Zeitungsleser gerne am Ufer der Themse sammelte, was immer ihm auffiel.
    »Kannst Lehrling werden«, sagte Riebau, nachdem er seinen Laufburschen ins Hinterzimmer gebeten hatte und unter dem Bild des tosenden Wassers, auf dem England sich täglich gegen seine Feinde bewies, Platz genommen hatte.
    Faraday atmete ein. Sieben Jahre Buchbinderei lagen vor ihm, der etwas wollte, als am 7. Oktober 1805 der Vertrag unterschrieben wurde. In Erwartung Faradays gewissenhafter Dienste, besagte der Vertrag, würde keine Ausbildungsgebühr gezahlt werden müssen.
    2 Horatio Nelson
    Mit den beiden anderen Lehrlingen stand Faraday im vorderen Raum von Riebaus Laden und hörte seinen Lehrherrn vor der Tür mit Kunden sprechen. Durch die mit Büchern teilweise zugestellte Fensterfront konnte Faraday sehen, wie sich die Hüte bewegten. Ihre Schatten fielen über die beiden Pressen auf den Boden und an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand noch auf die unteren Reihen der Bücherregale. Mit der Tiefe des Raumes wurden die Schatten unschärfer, wie Faraday bemerkte.
    Schneiden, pressen oder gar nähen durfte der Lehrling noch nicht. Mit Bürste und Daumen stäubte er grünes und zinnoberrotes Pigment auf den Schnitt eines Buches, das er schon oft und
in vielen Formaten und Farben bestäubt hatte: Die Verbesserung des Geistes von Isaac Watts. Darin ging es um Atome und das Leere, um das
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