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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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mit großem Können abgestimmt auf dieses wunderbar changierende Hellgrau mit den zartweißen Streifen des Fehmantels. Einen Augenblick, eben den, als sie sich im Spiegel betrachtete, zögerte sie, ob sie den Mantel nicht einfach anbehalten sollte. Sie hätte ihn ja genaugenommen für dieses silberne Reiterabzeichen von Bremer bekommen, und das wurde ihr in diesem Moment klar, nie würde sie sich etwas so Ausgefallenes wie diesen Fehmantel leisten können. Aber dann dachte sie an den Imbißstand, von dem sie leben wollte, und an ihren Sohn, der seine Kaminkehrerlehre abschließen sollte, und an den kleinen Heinz, ihren Enkel, der bald die ersten Schuhe brauchen würde. Und so zog sie den Mantel wieder aus.
    Schön, sagte sie, er ist wunderschön geworden.
    Sie saßen im Keller, Frau Brücker und mein Vater, und rauchten. Sie war seit Bremers Aufenthalt eine Gelegenheitsraucherin geworden, drei Zigaretten im Monat, höchstens fünf. Mein Vater rauchte sechzig am Tag. Sie hatte ihm, der den Mantel für vier Stangen Zigaretten und zwei Kilo Butter angefertigt hatte, ein Päckchen Players geschenkt, als Zugabe. Sie saßen da und rauchten. Sie betrachteten den Mantel, der auf dem Bügel hing. Der erste Mantel, den mein Vater in seinem Leben gemacht hatte. Wunderschön sah er aus, schließlich war es ein Fehmantel, den die meisten Kürschner in ihrem ganzen Leben nicht unter die Hände bekommen. Sie warteten auf den Intendanturrat, der mit einem Wagen vorgefahren wurde. Der Chauffeur öffnete die Tür, und die Frau stieg aus, rotblond auf hauchdünnen Schlangeniederabsätzen, die schmalen Fesseln in einem schimmernden Seidenschwarz. Sie stiegen in den Keller hinab. Die Frau sah den Mantel, und Frau Brücker sah das Gesicht der Frau. Was wird sie gesagt haben: Wonderful, marvellous? Sie drehte sich vor dem Spiegel hin und her, machte ein paar Schritte, drehte sich wieder, so daß sich der Saum des Mantels glockenförmig öffnete. Ich glaub, die war mal Mannequin, sagte die blinde Frau Brücker. Plötzlich war der Keller hell, ja, er strahlte. Und er war erfüllt von einem schweren fruchtigsüßen Parfüm, ein Duft wie aus einer anderen Welt. Der Mann, der Intendanturrat, sah seine Frau an. Auch er strahlte. Alle waren zufrieden, der Augenblick des Tauschs, dem ja viele andere Tauschaktionen vorangegangen waren, war gekommen. Ihr Geschäft konnte beginnen.
    Der Intendanturrat sagte: Nice. Und als er auf dem Tisch eine Vase mit Trümmerblumen stehen sah, soll er gesagt haben: Wo man in solchen Trümmern Blumen auf den Tisch stellt, wird auch bald das Land wieder blühen. Sie sind wirklich tüchtig, die Germans, und er soll meinem Vater die Hand gegeben haben, ehrenvoll, Sieger dem Besiegten. Nur leider, übersetzte mein Vater den Intendanturrat, er habe leider kein Pflanzenöl. Frau Brücker erstarrte. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Sie legte die Hand auf den Fehmantel. Aber er habe etwas anderes. Ich kann Ihnen entweder fünf Seiten Speck anbieten oder eine Kilodose Currypowder. Frau Brücker stand da, die Hand auf dem Fehmantel, und überlegte. Natürlich waren fünf Seiten Speck ein günstiges Angebot, leicht weiterzutauschen, leicht auch in der Bude zu verarbeiten und anzubieten, aber Curry, sie mußte an Bremer denken, an die Nacht, als sie auf der Matratzeninsel nebeneinanderlagen und er ihr diese Geschichte erzählt hatte, wie der Curry die Schwermütigen rettet, wie er im Traum über sich selber lachen mußte, daß ihm die Rippen weh taten, und daß sie alles ja für seinen Glücksbringer, dieses silberne Reiterabzeichen, bekam, und da sagte sie, gegen jeden ökonomischen Sinn und Verstand: Ich nehm den Curry.
    Um Gottes willen, hab ich gedacht, was soll ich mit dem Zeug. Aber da saß sie schon in dem kleinen Armeelastwagen, der sie nach Hause fuhr. Und der Fahrer, ein rotblonder, rotbärtiger Engländer, der ihr immer mit seinem linken fingernagellosen knubbeligen Zeigefinger vor der Nase herumfuchtelte, redete auf sie ein. Sie verstand nichts, absolut nichts. Sie nickte mit dem Kopf und dachte an diesen verrückten Tausch. Wie konnte ich nur, dachte sie. Sie versuchte, noch auf der Fahrt nach Hause, die Dose aufzumachen, um das Gewürz zu schmecken. Der Tommy zog einen Schraubenzieher aus dem Ablagefach. Sie hebelte den Dosendeckel auf, tippte mit dem Finger in das Pulver und leckte daran. Gräßlich. Der Geschmack, ein bitteres Kuddelmuddel, nein, brennend scharf, so als würde eine Egge über die Zunge
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