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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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sofort. Sie trug einen weißen Kittel und hatte das Haar hochgesteckt. Der Stand war umlagert von Schwarzmarkthändlern, und über den Stand war als Regenschutz eine Feldplane in Tarnfarben gespannt, die Plane, die er bekommen hatte, April 45, um darauf in der Lüneburger Heide zu schlafen und sich vor anrollenden Panzern zu tarnen, die Plane, unter der er mit ihr durch den Regen gegangen war.
    So eine kleingehackte Wurst, bitte!
    Sie erkannte Bremer sofort. Sie mußte sich umdrehen, um durchzuatmen, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen, als sie die Bratwurst zerschnitt. Er war wieder schlank geworden, und er trug tatsächlich den Anzug ihres Mannes. Es war haltbares, bestes englisches Tuch. Er hatte einen Hut auf, einen echten Borsalino. Den hatte er eingetauscht. Das Geschäft ging gut. Fensterkitt war damals gefragt. Es waren ja viele Scheiben kaputtgegangen. Er hatte sich überhaupt nicht verändert, nur der Hut saß ihm tief über den Augen. Kaffee, fragte sie in seine Richtung, echte Bohne? Er sah aus wie ein erfolgreicher Schieber. Egal, sagte er und dachte, sie müsse ihn an der Stimme erkennen. Also was, sagte sie, echte Bohne sind zwei Amis oder dreißig Mark. Er schmeckte noch immer nichts, und es war egal, ob er echte Bohne oder Eichelkaffee trank, aber er sagte dann doch: Echte Bohne. Ne Currywurst dazu, sagte sie, sind fünf Amis. Die Preise waren saftig. Aber er nickte. Sie hatte ihre Currymischung in die Pfanne geschüttet, ein ferner Duft, gab dann das Ketchup hinein und zum Schluß die angebratenen Wurstscheiben dazu. Sie schob ihm die Wurstscheiben auf einen kleinen Blechteller. Und er pickte sich mit dem Holzstäbchen eine Wurstscheibe auf, tunkte sie nochmals in diese rostrote Soße. Und da, plötzlich, schmeckte er, auf seiner Zunge öffnete sich ein paradiesischer Garten. Er aß die Wurst und beobachtete, wie sie bediente, freundlich und schnell, wie sie mit den Leuten sprach, wie sie einen Spaß machte, wie sie lachte, einmal sah sie zu ihm herüber, kurz nur und ohne jedes Erstaunen oder Überraschtsein, sah sein freundliches, nein, strahlendes Gesicht, so als habe er gerade etwas Wunderbares entdeckt, sie wiedererkannt, einen Augenblick zögerte sie, wollte sagen: Hallo, aber da verlangte ein anderer Kunde einen Eichelkaffee. Ihre Hände zitterten nicht mehr. Er wischte diese rostrote Soße sorgfältig mit etwas Brot auf, dann gab er den Blechteller zurück. Ging etwas weiter und sah nochmals zum Stand hinüber. Sie strich sich mit dem Oberarm eine Haarsträhne aus der Stirn. Eine graue Haarsträhne, die in dem Blond kaum auffiel, nein, es sogar schöner abstufte, aufhellte, sie griff die Kelle und goß über die Wurstscheiben diese rote Soße. Er sah, und so habe auch ich sie in Erinnerung, daß sie diese Bewegung tagtäglich wiederholte; es war eine elegante kurze Bewegung, leicht und mühelos.
     
    Sie hob das Pulloverteil hoch, die Sonne hatte sich im Blau des Himmels knallgelb gerundet. Na, was sagste un?
    Wunderschön.
    Will ma sehn, mit der Wolke, ob ich das noch schaff.
    Sie sah über mich hinweg und bewegte die Lippen, weil sie wieder Maschen nachzählte.
    Zerbrechlich sah sie aus, aber von einer großen Zähigkeit, ja Kraft. Ich wollte sie noch fragen, ob sie Bremer noch einmal getroffen habe, aber da ich abends noch eine Verabredung hatte und es schon spät war, dachte ich mir, es hat Zeit, ich werde sie später einmal fragen. Aber es war dann doch keine Zeit mehr.
     
    Am nächsten Tag fuhr ich nach München zurück, und wenig später ging ich für einige Monate nach New York.
    Als ich nach gut einem halben Jahr wieder nach Hamburg kam und in dem Altenheim anrief, sagte mir der Pförtner: Frau Brücker? Is gestorben. Und wann? Is gut zwei Monate her. Sind Sie verwandt? Nein.
    Wie war Ihr Name? Moment mal, sagte die Stimme, für Sie liegt hier noch ein Paket. Können Sie abholen, vergessen Sie nicht, einen Ausweis mitzubringen.
    Nachmittags fuhr ich zum Altenheim und wurde vom Pförtner in das Heimleiterbüro geschickt. Eine junge stark überschminkte Frau schob mir ein kleines Paket über den Bürotisch, wollte den Ausweis nicht sehen, sagte, bei jedem Abgang bleibt was liegen, wir sind schon froh, wenn das Zeug überhaupt abgeholt wird. Hugo? Nee, der is weg. Studiert. Aber wo, das konnte sie mir nicht sagen. Ich nahm das Päckchen, eingewickelt in rotes Papier, mit kleinen Weihnachtsmännern darauf, und ging hinaus. Es war März, und der gnadenlose Paarungstrieb ließ die
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