Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
Bedingungen, so wie es beispielsweise bei der Frikadelle gewesen sein mag: Man hatte Brotreste und nur wenig Fleisch, wollte aber den Magen füllen, da bot sich der Griff zu beiden an und war noch dazu voller Lust, man mußte das Fleisch und das Brot ja zusammenmanschen. Viele werden es getan haben, gleichzeitig, an verschiedenen Orten, und die unterschiedlichen Namen bezeugen es ja auch: Fleischbengelchen, Boulette, Fleischpflanzerl, Hasenohr, Fleischplätzchen.
    Schon möglich, sagte ich, aber bei der Currywurst ist es anders, schon der Name verrät es, er verbindet das Fernste mit dem Nächsten, den Curry mit der Wurst. Und diese Verbindung, die einer Entdeckung gleichkam, stammt von Frau Brücker und wurde irgendwann Mitte der vierziger Jahre gemacht.
    Das ist meine Erinnerung: Ich sitze in der Küche meiner Tante, in der Brüderstraße, und in dieser dunklen Küche, deren Wände bis zur Lamperie mit einem elfenbeinfarbenen Lack gestrichen sind, sitzt auch Frau Brücker, die im Haus ganz oben, unter dem Dach, wohnt. Sie erzählt von den Schwarzmarkthändlern, Schauerleuten, Seeleuten, den kleinen und großen Ganoven, den Nutten und Zuhältern, die zu ihrem Imbißstand kommen. Was gab es da für Geschichten. Nichts, was es nicht gab. Frau Brücker behauptete, das läge an ihrer Currywurst, die löse die Zunge, die schärfe den Blick.
    So hatte ich es in Erinnerung und begann nachzuforschen. Ich befragte Verwandte und Bekannte. Frau Brücker? An die konnten sich einige noch gut erinnern. Auch an den Imbißstand. Aber ob sie die Currywurst erfunden habe? Und wie? Das konnte mir niemand sagen.
    Auch meine Mutter, die sonst alles mögliche und das bis ins kleinste Detail im Gedächtnis hatte, wußte nichts von der Erfindung der Currywurst. Mit Eichelkaffee habe Frau Brücker lange experimentiert, damals gabs ja nichts. Eichelkaffee habe sie, als sie ihre Imbißbude nach dem Krieg eröffnete, ausgeschenkt. Meine Mutter konnte mir sogar noch das Rezept nennen: Man sammelt Eicheln, trocknet sie in der Backröhre, entfernt die Fruchtschale, zerkleinert und röstet die Fruchtkerne sodann. Danach wird noch die übliche Kaffee-Ersatz-Mischung zugesetzt. Der Kaffee war etwas herb im Geschmack. Wer den Kaffee über einen längeren Zeitraum trank, verlor, behauptete meine Mutter, langsam den Geschmack. Der Eichelkaffee hat die Zunge regelrecht gegerbt. So konnten Eichelkaffeetrinker in dem Hungerwinter 47 sogar Sägespäne in das Brot einbacken, und es mundete ihnen wie ein Brot aus bestem Weizenmehl.
    Und dann gab es da noch die Geschichte mit ihrem Mann. Frau Brücker war verheiratet? Ja. Sie hat ihn eines Tages vor die Tür gesetzt.
    Warum? Das konnte meine Mutter mir nicht sagen.
     
    Am nächsten Morgen fuhr ich zur Brüderstraße. Das Haus war inzwischen renoviert worden. Der Name von Frau Brücker stand – was ich erwartet hatte – nicht mehr am Klingelbrett. Die ausgetretenen hölzernen Treppenstufen waren durch neue, mit Messingstreifen beschlagene, ersetzt, das Licht im Treppenhaus war hell und ließ mir Zeit, die Treppen bis oben hochzusteigen. Früher leuchtete es nur 36 Stufen lang. Als Kinder liefen wir um die Wette gegen das Licht die Treppe hoch, bis zur obersten Etage, wo Frau Brücker wohnte.
    Ich ging durch die Straßen des Viertels, schmale baumlose Straßen. Hier wohnten früher Hafen- und Werftarbeiter. Inzwischen waren die Häuser renoviert und die Wohnungen – die City ist nicht weit – luxuriös ausgestattet worden. In den früheren Milch-, Kurzwaren- und Kolonialwarenläden hatten sich Boutiquen, Coiffeurs und Kunstgalerien eingerichtet.
    Nur das kleine Papierwarengeschäft von Herrn Zwerg gab es noch. In dem schmalen Schaufenster stand inmitten von angestaubten Zigarren-, Zigarillo- und Stumpenkisten ein Mann mit Tropenhelm, in der Hand hielt er eine lange Pfeife.
    Ich fragte Herrn Zwerg, ob Frau Brücker noch lebe, und wenn, wo.
    Was wollen Sie denn, fragte er mit geballtem Mißtrauen. Der Laden ist schon vermietet.
    Ich erzählte ihm, als Beweis dafür, daß ich ihn von früher her kenne, wie er einmal, es muß 1948 gewesen sein, auf einen Baum gestiegen sei; der einzige Baum hier in der Gegend, der nicht in den Bombennächten abgebrannt oder später nach dem Krieg zu Brennholz zersägt worden war. Es war eine Ulme. Auf die war eine Katze vor einem Hund geflüchtet. Sie war hoch und immer höher gestiegen, bis sie nicht mehr zurückklettern konnte. Eine Nacht hatte sie im Baum gesessen, auch den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher