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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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Bratwürste haben, außerdem mußte sie Öl für die Kartoffelpuffer auftreiben, die sie ins Angebot aufnehmen wollte, reines Pflanzenöl, nicht was neulich Frau Claussen angedreht worden war: altes Motorenöl.
    Pflanzenöl, da kenne er, sagte ein Großschieber, der Lena Brücker empfohlen worden war, jemanden, der weiterhelfen könne, allerdings brauche der bestimmt kein Holz. Das ist nämlich der englische Intendanturrat, der das gesamte Proviantlager in Soltau unter sich habe, ein glatzköpfiger Zwerg und Albino, aber eine Frau habe der –: so, und der Schieber küßte sich die Fingerspitzen seiner Hand mit den manikürten Fingernägeln. Rotblond, hoher Wasserfall. Teppiche, Silber, Granatschmuck, damit kann man dem kommen, alles legt dieser Albino seiner Frau zu Füßen – nur so kommt der an die ran.
     
    Das blaue Wollknäuel fiel Frau Brücker runter, rollte durch das Zimmer. Ich hob es ihr auf. Mußte bitte aufwickeln, aber richtig, daß es sich nicht verheddert.
    Das, immerhin, war eine Fährte, denn Lena Brücker hatte von einem Mann gehört, der, aus der sowjetischen Besatzungszone kommend, 300 Fehfelle rübergebracht hatte, die wiederum irgendein russischer Stabsoffizier aus Sibirien mitgebracht hatte. Der Mann wollte die Fehfelle gegen Chloroform tauschen, war aber weder an Vierkanthölzern noch an Brettern interessiert. Sie bekam einen Tip: Der Chefarzt einer Frauenklinik suchte für Dachstuhl und Fußboden seiner ausgebrannten Villa Holz.
    Nun galt es noch, den Intendanturrat oder, genauer, dessen Frau zu ködern, um an den Whisky, an Tomatenketchup und Öl für die Kartoffelpuffer heranzukommen. Sie hatte sich vorgenommen, weniger Sägespäne beizugeben, allerdings auch den Preis heraufzusetzen.
    Wenn das gelang, hatte sie eine stabile Gleichung. Sie ließ den Intendanturrat durch den Großschieber einladen, verabredete sich mit Helga, die dolmetschen sollte, und fuhr nach Othmarschen, wo der Besitzer der Fehfelle wohnte, ein mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz dekorierter ehemaliger Panzeroberst. Lena Brücker saß mit Helga in dem düsteren Eichenwohnzimmer. Die Frau des einbeinigen Oberst stellte ihnen zwei Gläser mit Holundersekt hin. Es klingelte, und der Intendanturrat trat ein. Er war klein, aber durchaus kein Zwerg, auch war er nicht glatzköpfig und erst recht kein Albino. Die Frau hingegen hatte der Großschieber richtig beschrieben, rotblondes Haar, die Augenbrauen wunderbar geschwungen, und einen Teint, so durchsichtig hell und rein wie Porzellan. Und alle Gliedmaßen – sie überragte den Intendanturrat um Haupteslänge – schlank, die Finger, die Arme und – ohne staksig zu sein – die Beine.
    Sie trug einen grauen Persianermantel und einen Persianerhut in Form eines Dreispitzes, mit einer großen Perlmuttmuschel an der Krempe. Der Panzeroberst begrüßte die Frau galant mit einem Handkuß, was er weder bei Lena Brücker noch bei ihrer Freundin Helga getan hatte. Dann brachte er die Fehfelle, die schon gegerbt waren. Die Frau des Intendanturrats ließ die kleinen Felle durch die Hand gleiten. Wunderbar weiche graue Felle mit schneeweißer Wamme und kleinen Schweifen mit schwarzen Spitzen, und Lena Brücker, in ihrem seriösen Marinekostüm, sah sofort: Die läßt die Felle nicht mehr los, der kroch auf eine weiche Weise der Wunsch in die Finger, in die Innenseite der Hand und von da durch den Rücken in den Kopf. Und was sie in der Handfläche fühlte, kam aus dem wie rot lackierten Mund als samtlockender Laut, wonderful. Was Lena Brücker nicht verstehen konnte, aber dennoch verstand, denn es bewirkte bei diesem Mann, den sie Kiiez nannte, ein Nicken mit dem Kopf. Der Intendanturrat ließ durch Helga fragen, was Lena Brücker für einen fertigen Mantel haben wolle.
    Das hatte sie sich aufgeschrieben und gab ihm den Zettel: 20 Liter reines Pflanzenöl, 30 Flaschen Ketchup, 20 Flaschen Whisky und 10 Stangen Zigaretten.
    Tuuuu matsch, sagte er. Und Lena Brücker war, ohne auch nur ein Wort Englisch zu können, klar, was das hieß, so viele Us –: zu viel. Er begann mit einem silbernen Drehstift Zahlen auf den Zettel zu schreiben, die sie wiederum korrigierte, dann wieder der Intendanturrat: 20 Liter Öl, 30 Flaschen Ketchup, 10 Flaschen Whisky, 5 Stangen Zigaretten.
    Dann sagte Lena Brücker zum zweiten Mal: O. K.
    Damit konnte der Ringtausch beginnen. Sie tauschte das silberne Reiterabzeichen gegen das Holz, das Holz gegen das Chloroform, das Chloroform gegen die Fehfelle.
    Jetzt
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