Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
mußte sie noch jemanden finden, der ihr aus den Fellen einen Mantel machen konnte. Ihr wurde von meiner Tante, die ja unten im Haus wohnte, mein Vater empfohlen, der, weil er eine Pelznähmaschine in den Trümmern eines Hauses gefunden hatte, sich gerade daran machte, Kürschner zu werden.
    So kam mein Vater in die Geschichte, er, der aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen, seine juchtenledernen Reitstiefel gegen Essen umtauschte und, um zu überleben, anfing, Pelzmäntel zu reparieren. Aber konnte er, der noch nie einen Mantel gemacht hatte, einen Fehmantel anfertigen?
    Ja, sagte sie, ich hatte Angst. War ja mein ganzes Kapital drin.
    Auch mein Vater träumte damals schwer. Ein Alp ritt ihn, ein Alp in einem viel zu kurzen, stark verzogenen, unten zu einem Sack zusammengenähten Pelzmantel.
    Ich konnte endlich meine Frage stellen: Wie war er, ich meine, wie wirkte er, damals, mein Vater?
    Na ja, sagen wir mal so, ja wie soll ich sagen, wie einer, der bessere Zeiten gesehen hatte. Und son bißchen zackzack. Und, sie dachte nach, wie einer, der schon viele Fehmäntel gemacht hat.
    So habe ich meinen Vater in früher Erinnerung. Er sitzt im grün gefärbten Militärmantel, eine blau gefärbte Militärmütze auf dem Kopf, und schneidet die Vorderpfötchen in Ellipsenform heraus, näht sodann auf der Pelznähmaschine das Loch zu, er schimpft, aber leise, er bestreicht das Leder mit Wasser und zieht und zupft die Felle in die richtige Form, zweckt jedes einzeln mit Stecknadeln auf, schneidet Reste ab und näht die Felle aneinander. So entsteht ein Muster von einem Weiß, das in ein Mittelgrau übergeht, und in der Mitte des Fells in ein zartes Dunkelgrau. Aber jede Bewegung der Fellteile ist ein bewegtes, ein sich einschaltendes und wieder aufhellendes Grau. Er hatte sich ein Buch gekauft: Der deutsche Kürschner, ein Handbuch . In diesem Buch blättert er immer wieder. Nach dem darin abgebildeten Beispiel entwirft er ein Schnittmuster, mißt und rechnet. Die Maße waren ihm zugeschickt worden. Der Intendanturrat wollte nicht, daß ein Fremder, zumal ein German, Hand an seine Frau legt, also Maß nimmt. Der Vater liest: Die Streifen der übereinandergenähten Felle werden nun an den Rändern beglichen, die Streifen sortiert, dann zusammengenäht, auf das Papiermuster gelegt. Das Leder gut mit Wasser anfeuchten und die Felle auf eine große Holzplatte aufzwecken. Die Fellreihen müssen mit Stecknadeln geradegezweckt werden. Trocknen lassen. Abzwecken, abermals begleichen, sodann zusammenheften.
    Mehrmals mußte er mühevoll fummelig Nähte wieder auftrennen, weil er die hauchdünnen Haare büschelweise eingenäht hatte. Ich höre ihn, wie er vor sich hin flucht. Und noch eine körperliche Erinnerung: Ich darf mit meiner Mutter in dem einzigen Bett im Zimmer schlafen, während mein Vater sich nachts auf die Zweckplatte legt und mit dem Mantel zudeckt. An der Kellerwand glitzert im Schein der Petroleumlampe das gefrorene Wasser, eine märchenhafte, wunderbare Landschaft – vom warmen Bett aus gesehen.
    Dann, nach einer Woche, kam der Tag der Anprobe. Die Ärmel waren eingeheftet, der Kragen aufgenäht, nur gefüttert war der Mantel noch nicht. Es war ein Tag, vergleichbar einem Stapellauf, und es war ein Freitag.
    Zur Anprobe kam auch Frau Brücker. Am Morgen waren ihr auf Treu und Glauben die ersten Würste abgeliefert worden. Und sie hatte beim Auspacken festgestellt: Die haben ja keine Haut. Tja, sagte der Fahrer, fehlt Darm, ham wir nich. Er mußte weiter, ins britische Militärkrankenhaus, das auch von der Wurstfabrik beliefert wurde. Die Engländer sind mit den Würsten so ganz zufrieden. Die essen die als ne Art Streifenleberkäse. Kalbsbratwürste ohne Haut, das bedeutete, die Würste trocknen in der Pfanne aus. Frau Brücker hatte uns drei mitgebracht. Tatsächlich schmeckten sie ohne Fett etwas dröge. Aber doch gut.
    Noch bevor die Frau des Intendanturrats eintraf, wollte Frau Brücker, die gleich groß, wenn auch kräftiger als die Engländerin war, den Mantel einmal anprobieren. Federleicht war der Mantel, kaum daß sie ihn spürte, und doch wärmte er wie eine Daunendecke. Lena Brücker stand vor dem Spiegel, einem der Länge nach gesprungenen Ankleidespiegel, und sah sich, wie sie sich noch nie gesehen hatte und nie wieder sehen sollte, einem Filmstar gleich, auch die leichte graue Strähne im Haar, die sie nach dem Weggehen Bremers bekommen hatte, sah aus, als sei sie kunstvoll eingefärbt worden,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher