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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin
Autoren: Tracy Chevalier
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schwarzen Punkten übersät war. Im nächsten Moment sank Belle auf die Knie, wobei ihr Kleid sich weit um sie bauschte, und legte das Gewehr auf den Boden.
    Honor wunderte sich, dass nach dem lauten Knall nicht von überall Leute herbeigelaufen kamen, doch es dauerte eine Weile, bis die ersten Menschen auf dem Platz erschienen. Der Besitzer des Wadsworth Hotel stand in der Hoteltür und wischte sich die Hände an einem Lappen ab, trat aber nicht näher. Hinter der Methodistenkirche tauchte eine Männergruppe auf, die ganz langsam wie in Trance die Straße entlangkam.
    Mittlerweile war Honor, Comfort immer noch im Arm haltend, neben Belle in die Hocke gegangen.
    Â»Mach dir keine Sorgen um mich, Schätzchen«, sagte Belle. »Du weißt doch, dass ich todkrank bin. Das war seit unserer ersten Begegnung klar. Der Galgen wird das Sterben nur ein wenig abkürzen.«
    Jack hatte Mrs Reeds Handfesseln aufgeschnitten, jetzt trat auch sie zu Belle. »Es tut mir leid, dass du das tun musstest«, sagte sie, »aber ich danke dir.«
    Belle nickte. »Es ist nicht besonders schwer, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden.«
    Â»Ich muss jetzt verschwinden.« Mrs Reed blickte zu der Männergruppe, die sich langsam näherte. »Als Schwarze sollte man sich nie in der Nähe einer Schießerei sehen lassen.«
    Â»Lauf hinters Haus und von dort weiter zu den Eisenbahnschienen. Folge ihnen aus der Stadt heraus«, sagte Belle. »Dort kommt so schnell keiner vorbei. Ich bin wirklich froh, dich kennengelernt zu haben, Elsie.«
    Â»Ich auch.« Mrs Reed nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen. Ihr Gesichtsausdruck war derselbe wie immer, doch jetzt sah Honor, dass sie weinte.
    Mrs Reed setzte die Brille wieder auf und zog ihr Tuch fester um sich. »Ich werde für dich beten.« Dann wandte sie sich zu Honor und Jack um. »Und für euch auch. Wenn ich schnell genug reite, kriege ich noch das Ende des Gottesdienstes mit.« Sie bog um die Hausecke, blieb dann aber noch einmal stehen und blickte zurück. »Auf Wiedersehen, mein Baby«, rief sie Comfort zu. »Sieh zu, dass deine Eltern gut auf dich aufpassen.«
    Comfort begann zu weinen, als hätte sie nur auf dieses Stichwort gewartet. Mrs Reed lächelte, dann drehte sie sich um und verschwand hinterm Haus.
    Â»Honor«, flüsterte Belle. »Siehst du die Haube dort im Fenster? Die graue, an der ich gearbeitet habe?«
    Honor blickte zu der grauen Haube mit dem himmelblauen Futter.
    Â»Es ist deine. Wurde mal Zeit, dass du ’ne neue Farbe ausprobierst. Aber das weißt du schon, oder?«
    Honor wusste es.
    Â»Honor«, fuhr Belle fort. »Ist er tot?«
    Niemand war zu Donovan gegangen, der auf dem Rücken lag, während die Blutlache unter ihm immer größer wurde. Seine braune Weste war zerfetzt und färbte sich allmählich dunkelrot. Neben ihm lagen sein Hut und der Blumenstrauß, den Jack fallen gelassen hatte.
    Â»Nein, noch nicht.« Honor spürte seine Präsenz, wie sie die Präsenz der entflohenen Sklaven im Wald gespürt hatte.
    Â»Kein Mensch sollte allein sterben, noch nicht einmal ein Dreckskerl wie Donovan«, murmelte Belle. »Jemand muss ihn auf seinem letzten Weg begleiten. Er ist mein Bruder.«
    Die Männergruppe war jetzt auf dem Platz angekommen, hielt sich aber im Hintergrund. Sie hatten Belle mit ihrem Gewehr erblickt und warteten ab, welchen Lauf das Drama weiter nehmen würde.
    Honor biss sich auf die Unterlippe, dann richtete sie sich auf und trat zu ihrem Mann. Sie sahen sich an. »Wir können nicht so weitermachen wie bisher«, sagte sie. »Wir müssen einen neuen Weg finden, der anders ist als der deiner Familie.«
    Jack nickte.
    Â»Doch erst muss ich dies tun.«
    Jack nickte wieder.
    Honor reichte ihm ihre Tochter und ging zu Donovan. Als sie neben ihm kniete, erblickte sie auf seiner Brust zwischen Blut, offenem Fleisch und zerfetzter Weste den glitzernden Schlüssel zu ihrer Truhe. Aus der Nähe sah sie, dass Donovans braune Weste feine gelbe Streifen hatte. Sie nahm sich vor, ein Stück von diesem Stoff für ihren nächsten Quilt zu verwenden. Auch Donovan war ein Teil ihres Lebens.
    Honor sah ihm ins Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, der Mund eine Grimasse, die verriet, dass der Tod nahe war.
    Im nächsten Moment schlug er die Augen auf. Honor erhaschte einen Blick auf die
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