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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin
Autoren: Tracy Chevalier
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unangenehme Gefühl, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben. Trotzdem hatte sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, und den Blick fest auf ihre Mutter gerichtet, die in ihrem dunklen Kleid und mit der weißen Haube am Strand auf und ab ging und darauf wartete, dass die Kinder unversehrt zurückkehrten. Seit diesem Erlebnis hatte Honor es vermieden, noch einmal in ein Boot zu steigen.
    Sie hatte Geschichten von fürchterlichen Überfahrten gehört, doch mit der unerschütterlichen Gleichmut, die sie allen Widrigkeiten des Lebens entgegenbrachte, hoffte sie auch diese Prüfung zu bestehen. Seetauglich war Honor allerdings nicht, was ihr die Matrosen gleich auf den Kopf zusagten. Eigentlich hätte es ihr schon nach dem Ausflug mit dem Ruderboot klar sein müssen. Als die Adventurer aus Bristol auslief, stand Honor mit Grace und den anderen Passagieren an Deck und blickte auf die immer länger werdende Küste von Somerset und Norddevon zurück. Die anderen machten Witze über den ungewohnt schwankenden Boden unter ihren Füßen, doch Honor wurde immer unruhiger. Ihre Schultern verspannten sich, und ihr Gesichtsausdruck wurde mit jedem Schaukeln des Schiffes verschlossener. Etwas lag ihr schwer im Magen, als hätte sie ein eisernes Pfundgewicht verschluckt. Sie hielt durch, solange sie konnte, doch als die Adventurer an der Insel Lundy vorbeisegelte, krampfte sich Honors Magen zusammen, und sie übergab sich aufs Deck. »Jetzt schon seekrank, dabei sind wir kaum aus dem Kanal von Bristol heraus!«, lachte ein vorbeigehender Matrose. »Warten Sie nur, bis wir auf hoher See sind, dann wissen Sie, was Übelkeit ist.«
    Honor erbrach sich auf Graces Schulter, auf die Bettdecke, auf den Boden der winzigen Kabine und in die dafür vorgesehene Emailleschale. Selbst als nichts mehr in ihrem Magen sein konnte, musste sie weiterspeien, als sei ihr Körper eine Zaubertruhe, aus der man endlos etwas hervorholen konnte. Nach den Brechanfällen fühlte sie sich keinen Deut besser. Als sie den Atlantik erreichten und das Schiff mit langen Rollbewegungen die Wellenberge auf und ab fuhr, wurde es noch schlimmer, allerdings wurden jetzt auch Grace und viele andere Passagiere seekrank. Die meisten gewöhnten sich jedoch schnell an den neuen Rhythmus des Schiffes, nur Honor nicht: Ihr war während der ganzen einmonatigen Schiffsreise pausenlos übel.
    Wenn sie nicht selbst seekrank war, kümmerte Grace sich um Honor. Sie wusch ihre Laken aus, leerte die Spuckschale, brachte der Schwester Brühe und harten Schiffszwieback und las ihr aus der Bibel vor oder aus einem der wenigen Bücher, die sie mitgenommen hatten: Mansfield Park, Der Raritätenladen und Leben und Abenteuer des Martin Chuszlewit. Um Honor von den Qualen der Gegenwart abzulenken, plauderte Grace über die gemeinsame Zukunft in Amerika. »Was würdest du lieber sehen, einen Bären oder einen Wolf?«, fragte sie die Schwester, um sich die Frage gleich selbst zu beantworten. »Ich meine, einen Bären, denn Wölfe sind doch nichts anderes als zu groß geratene Hunde, aber ein Bär ist einfach ein Bär. Und womit würdest du in Amerika lieber reisen? Einem Dampfschiff oder einem Zug?«
    Bei dem Gedanken an eine weitere Schiffsreise stöhnte Honor auf. »Einverstanden, mit dem Zug«, sagte Grace schnell. »Ich wünschte, es gäbe einen Zug, mit dem wir von New York bis Ohio fahren könnten. Eines Tages wird es möglich sein. Ach, Honor, stell dir nur vor: Bald werden wir in New York sein.«
    Honor schnitt eine Grimasse. Wie gern hätte sie die Begeisterung ihrer Schwester geteilt und die Reise als großes Abenteuer betrachtet. Grace war schon immer die Unternehmungslustigste der Brights gewesen und hatte ihren Vater gern auf seinen Reisen nach Bristol, Portsmouth oder London begleitet. Sie hatte sogar eingewilligt, einen langweiligen, um einige Jahre älteren Mann zu heiraten, nur weil der ihr ein Leben fern von Bridport bieten konnte. Grace kannte die Familie Cox mit ihren fünf Söhnen, seit sie vor mehreren Jahren aus Exeter nach Bridport gezogen waren, um einen Tuchladen zu eröffnen. Doch für Adam hatte sie sich erst interessiert, als dieser beschloss, nach Ohio auszuwandern. Einer seiner Brüder, Matthew, lebte bereits dort, da es jedoch um seine Gesundheit nicht gut bestellt war, hatte Matthews Frau in einem Brief um
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