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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle
Autoren: Andreas Gruber
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hätte den Film sowieso nie verkauft.
    Hogart reckte den Hals, um dem Jungen nachzusehen, wie er im U-Bahnschacht verschwand, doch so weit kam er nicht. Das Bürschchen prallte gegen die beiden Männer, die ihm nicht wie alle anderen auswichen, und ehe er sichs versah, packte ihn der eine am Ohr und schlug ihm ins Gesicht. Brutal schoben die beiden den Jungen durch die Reihen auf Hogarts Stand zu - der Unrasierte hielt ihn am Ohr, während ihm der Lackaffe einen Klaps auf den Hinterkopf versetzte. Der Kleine brüllte wie am Spieß, worauf sich die ersten Leute aufregten. Normalerweise konnte man an einer Wiener Bushaltestelle einer Großmutter die Handtasche klauen, ohne dass einer der Herumstehenden auch nur einen Finger rührte, doch sobald ein Kind lauthals kreischte, traf man den Nerv der Wiener.
    Als der Lackaffe den Jungen mit dem Rücken voran gegen Hogarts Stand stieß, erreichte das Gebrüll den Höhepunkt. Es verstummte erst, als der Mann seine Dienstmarke aus der Anzugtasche hervorholte und dem Jungen vor die Nase hielt. Hogart musste nicht hinsehen. Inspektor Wolfgang Eichinger stand unter der Plakette.
    »Hallo Hog, wie geht’s?« Der Mann steckte den Kripo-Ausweis wieder ein.
    »Bis jetzt ganz gut«, antwortete Hogart.
    Eichinger lächelte, smart wie immer - zumindest hatte ihn Hogart noch nie anders gesehen. Egal ob im Dienst oder privat - er trug stets einen eleganten Anzug und die silberne Rolex am Handgelenk, ein Geschenk seiner Frau, die wie er für das Innenministerium arbeitete. Wenn es für Eichinger einmal nicht mehr so gut bei der Kripo lief - und manchmal sah es ganz danach aus -, konnte er es immer noch als Model für Herrenunterwäsche versuchen. Die gebräunten Gesichtszüge waren genauso schneidig wie sein Anzug, und mit dem perfekt sitzenden, eingegelten schwarzen Haar stellte er den Traumkandidaten für jede Schwiegermutter dar. Nur hatten die keine Ahnung, was im Kopf dieses Mannes vorging.
    Eichinger sah seinen Partner kurz an. Garek kam aus einem anderen Milieu, dementsprechend waren sein Aussehen und sein Auftreten: kaltschnäuzig, verbittert, unrasiert, das ungebändigte braune Haar mit einer nassen Bürste nach hinten gekämmt. Sobald man einmal wusste, dass beide bei der Kripo arbeiteten, konnte man glauben, zwei Prachtexemplare von Guter-Bulle-böser-Bulle vor sich zu haben. Doch der erste Eindruck täuschte. Wie so oft war es in Wahrheit genau umgekehrt.
    »Diebstahl, tätlicher Angriff und Widerstand gegen die Staatsgewalt … beachtlich für dein Alter.« Eichinger sah auf die Uhr, doch den Blick hätte er sich sparen können. Aus der Innenstadt drang das Läuten der Mittagsglocken. »Müsstest du nicht in der Schule sein?«
    »Es ist Sonntag«, sagte Hogart, während der Junge wortlos zu Boden starrte.
    Garek zerrte am Kragen des schmuddeligen Hemds. Bestimmt machte ihm die Hitze zu schaffen. »Wir werden deine Mutter verständigen. Sie bekommt eine Anzeige wegen Verletzung der Aufsichtspflicht, eine Gerichtsvorladung und eine Geldstrafe. Der Bericht geht an die Jugendwohlfahrt, und die machen einen Hausbesuch. Dein alter Herr hat bestimmt ein paar Vorstrafen, was?«
    Hogart stöhnte auf. Er wusste, dass die beiden den Jungen nur kräftig verarschten. Erstens arbeiteten sie beim Morddezernat, und zweitens war ihnen bei diesen Temperaturen bestimmt nicht danach zumute, den Jungen aufs Revier zu schleppen, um dort seine Personaldaten herauszufinden - denn so, wie der Junge aussah, trug er bestimmt keinen Ausweis bei sich.
    Hogart ging um den Stand herum und legte dem Burschen die Hand auf die Schulter. »Ronnie, wenn du den Film nicht mehr möchtest, nehme ich ihn zurück und du überlegst dir, ob du deinem Vater etwas anderes kaufst. Einverstanden?«
    Noch bevor der Junge aufsah, hatte ihm Hogart die Videokassette unter dem T-Shirt hervorgezogen und zu den anderen auf den Tisch gelegt. Der Zinker war sowieso noch nichts für einen Zehnjährigen. Hogart nahm einen Fünfeuroschein aus der Geldbörse und reichte ihn dem Jungen. Dieser nahm ihn verdutzt.
    »Komm nächsten Sonntag wieder.«
    Das ließ sich der Bub nicht zweimal sagen. Eilig zwängte er sich zwischen den Kripobeamten hindurch.
    Eichinger sah dem Jungen hinterher. »Dein Stand muss ja mächtig viel Kohle abwerfen, wenn du den Leuten, die dich beklauen, die Euros hinterherwirfst.«
    Hogart begann, die Videokassetten aufzustellen. »Was für euch wohl nicht zutrifft, da man euch auf minderjährige Diebe
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