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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel
Autoren: Thomas Pynchon
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Auferstehung in den nächsten paar Minuten träumen.
    Er heißt Capt. Geoffrey ("Pirat") Prentice. Er ist in eine dicke Decke mit einem orange-, rost- und scharlachfarbenen Schottenmuster gewickelt. Sein Schädel fühlt sich an wie aus Metall.
    Schräg über ihm, vier Meter über seinem Kopf, wird Teddy Bloat jeden Augenblick von der Galerie herunterfallen, hat er sich doch zum Hinsacken ausgerechnet den Platz ausgesucht, wo irgend jemand vor ein paar Wochen den grandiosen Einfall gehabt hat, zwei der Ebenholzpfosten aus dem Geländer herauszutreten. Nun ist Bloat in seinem Suff natürlich prompt durch die Öffnung gerutscht, sein Kopf, seine Arme und der Rumpf hängen schon über der Tiefe, und alles, was ihn oben noch festhält, ist eine leere Champagner-Pikkolo in seiner Hosentasche, die sich irgendwo verhakt hat.
    Inzwischen hat's Pirat geschafft, sich in seinem engen Junggesellenbett hochzurappeln und die Lage zu sondieren. Was für 'n Scheiß. Was für 'n verdammter Scheiß. Schon kommt von oben das Geräusch zerreißenden Stoffs. Blitzartige
    Reflexe hat man ihm bei der Special Operations Executive beigebracht. Er hechtet aus seinem Bett und versetzt ihm rücklings einen Tritt, so daß es auf seinen Rollen in Richtung Bloat rast. Der stürzt ab und schlägt unter vielstimmigem Gedröhn der Bettfedern quer mittschiffs auf. Ein Bein des Bettgestells knickt ab. "Guten Morgen", entbietet Pirat. Bloat grinst ihn kurz an, kuschelt sich in Pirats Decke und schläft gleich wieder ein.
    Bloat ist einer der Mitbewohner dieser Wohnung nicht weit vom Chelsea-Embankment, einer Maisonette aus dem vergangenen Jahrhundert, erbaut von Corydon Throsp, einem Freund der Rossettis, der härene Kutten zu tragen und Heilkräuter auf dem Dach zu ziehen pflegte (eine Tradition, die der junge Osbie Feel in jüngster Zeit wiederbelebt hat), von denen wenige winterhart genug waren, Nebel und Fröste zu überstehen, während die meisten, Fragmente merkwürdiger Alkaloide, sich in Dacherde zurückverwandelten, genau wie der Mist eines preisgekrönten Trios von Wessex-Saddleback-Säuen, die von Throsps Nachfolger Kost und Logis erhielten, oder die welken Blätter der zahlreichen Zierbäumchen, die spätere Mieter auf das Dach verpflanzten, oder auch manch eine ungenießbare Mahlzeit, die dieser oder jener sensible Epikuräer hingeschüttet oder ausgekotzt hatte: All das war von den Messern der Jahreszeiten zu einem fußdicken Brei vermengt worden, einem unglaublich schwarzen und reichen Humus, in dem schlechterdings alles gedeihen konnte, darunter nicht zuletzt Bananen. Pirat, von der kriegsbedingten Bananenknappheit zur Verzweiflung getrieben, hatte beschlossen, auf dem Dach ein Treibhaus zu bauen und sich von einem Freund, der die Rio-Ascension-Fort Lamy-Strecke flog, ein oder zwei Bananenschößlinge organisieren zu lassen, im Tausch gegen eine deutsche Kamera, falls Pirat bei einem seiner nächsten Fallschirmeinsätze über eine stolpern würde.
    Inzwischen ist Pirat berühmt geworden für seine Bananenfrühstücke. Aus ganz England drängen sich Kasino-Kameraden dazu, darunter sogar manche, die gegen Bananen allergisch sind oder ihnen ausgesprochen feindlich gegenüberstehen, einfach um zuzuschauen - denn bakterielle Politik, die aus molekularen Ringen und Ketten ein Netz webt, von dem Gott allein wissen mag, wie es geknüpft ist, hat die Früchte dazu gebracht, oft Längen von bis zu einem halben Meter zu erreichen, ja, erstaunlich, aber wahr.
    Pirat steht in der Toilette und pißt, sein Kopf ist völlig leer. Dann fädelt er sich in einen wollenen Schlafrock, den er mit der Innenseite nach außen anzieht, so daß die Brusttasche mit den Zigaretten versteckt bleibt - nicht, daß dieser Kniff besonders funktionierte -, geht um die wannen Leiber der Freunde herum zu den Terrassentüren, schlüpft hinaus in die Kälte, stöhnt, als sie auf seine Zahnfüllungen trifft, klettert eine eiserne Wendelleiter zum Dachgarten hinauf und bleibt einen Moment stehen, um auf den Fluß hinauszublicken. Die Sonne ist noch unter dem Horizont. Der Tag sieht nach Regen aus, aber im Augenblick ist die Luft ungewöhnlich klar. Das große Kraftwerk und die Gasometer dahinter stehen wie gestochen da: Kristalle, gewachsen im Becherglas des Morgens, Schornsteine, Abzugsöffnungen, Türme und Röhren, knotige Wolken aus Dampf und Rauch... "Hhahh", Pirat beobachtet mit stimmlosem Gebrüll, wie sein Atem über das Geländer pafft: "hhaahhh!" Dachfirste tanzen im
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