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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Autoren: Christian Buder
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konnte auch nicht näher erklären, was es hieß, sich damit abzufinden. Das gehörte zu den Standardsätzen von »Das sagt man halt so …«. Ihre Mutter war tot. Sie lag drei Meter tief im Boden, und im Sommer wuchs Löwenzahn zu ihr hinunter. »Ausgerutscht … mit dem Kopf auf einen Felsen … bewusstlos … und die Eiseskälte. Kein Mord.« Ihr Vater, die junge Frau von seiner Dienststelle, die sich als Psychologin ausgab, und auch die Nachbarn erzählten Alice, dass ihre Mutter gestorben war, weil sie ausgerutscht und dann erfroren war. Hätte sie nicht den Umweg über das obere Feld genommen, hätte man sie früher gefunden. Jeder versuchte, sie zu beruhigen, damals … Doch Alice war überzeugt, dass ihre Mutter keinen Unfall gehabt hatte. Die Polizei hatte den Mörder nie gefunden, weil sie ihn nie gesucht hatte. Nur ihr Großvater schwieg.Und er schwieg auch, als ihr Vater ihn bat, seiner Enkelin gut zuzureden. Doch da kannte der Vater den eigenen Vater schlecht. Großvater redete, was er dachte. Sein Schweigen hatte eine Bedeutung.
    Im Dorf kamen bald Gerüchte auf, dass Alices Mutter einen Liebhaber gehabt hatte und dass sie gar nicht ausgerutscht war. Die Leute redeten viel. Der Stammtisch half ihnen wieder beim Vergessen. Was dann als Erinnerung weiterbestand, hatte mit der Wahrheit nichts mehr zu tun. Doch wer kannte sie schon? Alice hatte sich nur eines eingeprägt: das Schweigen des Großvaters.
    Mit sieben Jahren, an ihrem ersten Schultag, hatte sie ihrem Großvater ihre Hypothese unterbreitet. Und sie gebrauchte das Wort »Hypothese«, weil sie es aus den Krimis im Fernsehen kannte. Sie hatte sich jedes Wort überlegt. Nach dem ersten Satz hatte ihr Großvater seine Pfeife aus dem Mund genommen. Beide schauten sie über die Wiese, auf der die letzten Sonnenstrahlen von Wolken vertrieben wurden. Es war mit einem Schlag kalt geworden.
    »Mama ist ermordet worden.«
    Ihr Großvater schwieg.
    »Jemand aus dem Dorf hat sie ermordet.«
    Seine Pfeife ging aus, und mit den letzten Sonnenstrahlen verschwand auch der entspannte Gesichtsausdruck ihres Großvaters.
    »Denn zu dieser Zeit waren die Zugangsstraßen gesperrt gewesen. Und am Heiligabend war in Hintereck kein Tourist unterwegs. Erst recht nicht nachts.«
    Warum wollte ihr Vater ihr nicht glauben, dass es kein Unfall war? Es war auch kein Fremder gewesen. Der Mörder ihrer Mutter kam aus dem Dorf. Er lebte mitten unter ihnen.

4.
    23. Dezember. 18 Uhr
    Wolkenfetzen trieben über den dunklen Tannen. Es gab kaum noch Licht im Tal. In den Gärten gingen die ersten beleuchteten Christbäume an. Es war kalt, erster Schnee fiel. Alice hatte sich dicke Handschuhe angezogen und eine Fellmütze mit Ohrenschützern. Ihr Vater hatte noch Dienst. Auf dem Tisch lag eine Liste mit Anweisungen.
    Nichts im Kühlschrank anrühren. Ist für morgen. Weihnachtsessen.
    Opa erinnern. Weihnachtsmarkt.
    Fensterläden schließen.
    Kellertür verriegeln.
    Mimi füttern. Katzenfutter auf dem Tisch.
    Kies vor dem Eingang streuen.
    Licht aus.
    Viel Spaß mit Opa auf dem Weihnachtsmarkt. (Sag ihm, dass du keinen Glühwein trinken darfst und dass er fährt.)
    Papa
    Alice steckte die Liste ein und folgte dem schmalen Trampelpfad, der zu Großvaters Hütte führte. Auf der befestigten Straße lief man fast zehn Minuten. Über den Murmelsteig, wie Alice den Weg nannte, weil sie dort einmal ein Murmeltier gesehen hatte, waren es keine fünf Minuten. Die feuchte Erde begann zu gefrieren. Die Berge verschwanden hinter einem weißlichen Schleier. Alice kannte den Weg auswendig, dennoch lief sie vorsichtig, um nicht zu stolpern.
    Wenigstens war es schon kalt genug, dass keine feuchte Erde an ihren Schuhen klebte. Geduckt wie eine Eidechse, saß Pepone auf dem Kopf einer Marienfigur. Pepone war eine der Katzen, die Hintereck bevölkerten. Der Vorteil an Dörfern war,dass man nicht nur die Einwohner, sondern auch die Katzen beim Namen kannte. Den namenlosen Katzen hatte sie kurzerhand Namen gegeben. So war auch Pepone von Alice getauft worden. Jede Namensgebung war ein schwieriger Moment. Alice hatte dabei nicht mit dem Widerspruch der Katzen zu tun, sondern mit den Namen selbst. Welcher Name passte zu einer bestimmten Katze? Der Name bekam plötzlich etwas Willkürliches. Wie alle Namen. So als würden die Katzen dadurch ein Stück menschlicher. Aber das war völliger Quatsch, dachte sie. Die Katzen führten ihr Leben zwischen den sonnengewärmten Mauern, den Häusern ihrer angeblichen
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