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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Autoren: Christian Buder
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gesamte Breite der Pforte war eine blutrote 11 gemalt. Die Farbe war schon getrocknet, so dass die Anstrengungen des Pfarrers vergeblich waren.
    »Jemand hat etwas auf die Kirchentür geschmiert.«
    »So ist es wohl«, grummelte der Großvater.
    »Warum schmiert jemand an Weihnachten eine 11 auf die Kirchenpforte? Was hat die 11 mit Weihnachten zu tun?«
    Ihr Großvater gab Gas und schwieg. Die Lichter verschwanden. Nur noch die Scheinwerfer stachen durch die weißen Schleier.Alice dachte, dass sie nie in Hindelang ankommen würden. Ihr Großvater sagte die ganze Fahrt kein Wort mehr. Etwas Dunkles lag in seinem Blick.
    Das Gedränge zwischen den Holzbuden war so groß, dass Alice ihren Großvater mehrmals aus den Augen verlor. Der Weihnachtsbaum war noch größer als im vorigen Jahr. Er überragte die Laternen und die Häuser um den Platz. Ein Nikolaus mit Rupfensack auf dem Rücken bahnte sich seinen Weg durch die Ansammlung von Wintermänteln. Hohohoho … Alice stieg auf einen Betonpfosten, um über die Köpfe sehen zu können. Die Atemwolken der Besucher sammelten sich im Schein der Laternen und elektrischen Weihnachtskerzen. Ein eisiger Hauch aus Hunderten Lungen, der über dem Markt hing. Von ihrem Großvater war weit und breit nichts zu sehen. Der Nikolaus bimmelte, und Alice fragte sich, warum der Mann im roten Kostüm mit dem weißen Wattebart die Glocke vor sein Gesicht hielt, so als wollte er damit Fliegen verscheuchen. Der Geruch von Mandelbrot und Lakritze stieg in ihre Nase. Lang aufgerollte Lakritze, die auf den Tischen der Händler in allen Farben leuchteten. Und sie sah ihre Mutter, wie sie eine Rolle Bärendreck mit den Zähnen festhielt. Es war das erste Mal, dass Alice Lakritze gekostet hatte. Die einzige Süßigkeit, die ihr schmeckte … die ihr damals schmeckte.
    Die Lakritze kann nichts dafür, dass ich tot bin.

5.
    Alice war froh, als sie das Klimbim des Weihnachtsmarktes hinter sich ließen. Die Weihnachtsbeleuchtung nahm ab. Bald war die Straße menschenleer, und die Spuren im Schnee waren nurnoch vereinzelte Fußabdrücke. Ihr Großvater hatte Mühe, ihr zu folgen. Sie kannte den Weg auswendig.
    Das Antiquariat »Teifi« war der einzige Fleck in Hindelang, der es verdiente, aus der Nähe betrachtet zu werden. Es gehörte einem Israeli, der seit fünfzig Jahren in Hindelang wohnte. Ihr Großvater verbrachte Stunden auf dem Sofa vor dem Kachelofen.
    »Nein, Großvater, ich will kein Kinderbuch.« Alice hatte schon den überhitzten und von Zigarettenqualm stinkenden Raum betreten, als ihr Großvater die Stufen hochstieg und sich auf dem Metallrost den Schnee von den Schuhen klopfte.
    Alice hatte ein Buch von einem amerikanischen Profiler aus dem Regal gezogen. »Das Aufspüren eines Serienmörders« von 1974. Der Profiler hieß Lee Hatman. Aufgrund seiner Analysen konnten vier Serienmörder in Chicago und Boston verhaftet werden. Ein Kapitel interessierte Alice besonders: »Aus der Sicht des Serienmörders – die Normalität einer Tötungsmaschine«.
    Das Antiquariat glich einem langen Schlauch. Bücherregale bis zur Decke an jeder Seite, davor Rollhocker, um an die oberen Reihen zu kommen. Alte Bücher rochen anders als neue. So als hätte sich ein allmählicher Verwesungsprozess breitgemacht. Auch Bücher starben, dachte Alice, nur viel langsamer. Und selbst sterbend hatten sie noch viel zu erzählen. Der Bücherschlauch verzweigte sich in andere Räume, die noch enger und vollgestopfter waren. Neben einem Korbstuhl, den die Krallen einer Katze über längere Zeit bearbeitet haben mussten, glotzte eine Büste in das trübe Licht der fensterlosen Bücherreihen. Die Büste war aus Gips und auf Alt gemacht. Das fehlende Ohr konnte einfach nur abgebrochen sein oder eine beabsichtigte Beschädigung. Wie eine echte Antike. Alice hatte nie verstanden, was manche Menschen an altem Zeugs so begeistern konnte,dass sie sogar Nachbildungen kauften, die künstlich beschädigt waren. »Kruscht« nannte ihr Vater das. Darunter fiel bei ihrem Vater allerdings viel mehr als nur altes und auf Alt gemachtes Gerümpel. Großvaters Haus bestünde, so Vater, zu 99 % aus Kruscht. Das 1 % war der Rasenmäher und das Fahrrad. An seinem Kruscht erkennst du den Menschen, sagte ihr Vater. Umso mehr ein Grund, um ihn zu behalten, dachte Alice. Die Buchstaben auf dem Sockel der Büste waren kaum mehr leserlich: Πλάτων .
    »Platon«, sagte ihr Großvater, beiläufig wie der Audioguide im Museum. »Kennst du
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