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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie
Autoren: Jay Bonansinga
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zweiten Gegenstand, den er brauchte – Kleidung, die er am Berg tragen konnte. Stiefel oder eine Daunenjacke oder einen Pullover. Irgendetwas.
    Wieder hatte er Glück: Von den drei Personen, die regelmäßig an der Station Dienst taten, waren zwei weiblich und eine männlich, wie Grove von den Namensschildern ablesen konnte, die auf dem Tresen standen. Und offenbar war der männliche Ranger recht schlampig.
    Hinten in der Hütte unter dem Arbeitstisch fand Grove einen Stapel Maxim -Magazine, einen Haufen leerer, schmieriger Hamburger-Verpackungen und eine Sporttasche. Die öffnete er mit zitternden Händen.
    Darin befand sich ein Paar reichlich abgetragener Allzweckstiefel, deren helles Oberleder so malträtiert war, dass es kackbraun und wie versengt aussah. Die Stiefel waren zwei Nummern zu klein, aber Grove schaffte es, seine Füße hineinzuzwängen. Außerdem fand er noch eine Fleeceweste voller Schweißflecken und einen großen Nylonanorak mit den Insignien eines Park-Rangers auf dem Rücken. Auf dem Boden der Tasche lagen überdies noch eine Rolle Nylonseil, rostige Karabinerhaken, ein Eispickel, Steigeisen, Schneestulpen.
    In aller Eile streifte Grove seinen Armani-Mantel ab und zog sich die Überbekleidung an, während die Stimmen, die Flammen, die Warnlichter von den Autodächern und die Funkgeräte draußen ein nervenzermürbendes Chaos verursachten. Groves Hände bebten, als er den .357er Magnum überprüfte. Noch besaß er zehn Schuss Munition. Fünf in der Trommel, fünf im Schnelllader an seinem Gürtel.
    Er schob den Revolver hinten unter den Gürtel, befestigte den Schnelllader, knöpfte den Anorak zu und setzte eine von den Rangerkappen mit festem Schirm auf. Er vergewisserte sich, dass er seine Karten hatte – die mit den Pfaden und die Auflagekarte mit der geographischen Situation in früheren Zeiten, die Okuda für ihn hergestellt hatte. Hannahs Glücksbringer beulte seine Hosentasche aus.
    Auf dem Weg zur Tür zögerte er einen Moment und blieb stehen. Er zog eine der Karten hervor und blickte darauf.
    Er ging zurück an den Tisch. Darauf lag eine große Schreibunterlage, neben der ein Becher mit Kugelschreibern und Filzstiften stand. Grove zog einen der Filzschreiber aus dem Becher und kniete sich hin. Er dachte an den Eismann, als er Okudas Karte vom Mount Cairn auf dem Boden ausbreitete.
    Welches Grauen mochte dem kleinen Schamanen vor sechstausend Jahren auf dem Gletscher begegnet sein?
    Grove betrachtete Okudas Karte. Der junge Mann hatte gedankenverloren eine Ecke der Karte bekritzelt. Die vertrauten Konturen der Eismann-Tätowierungen.
    Grove zog rechts seine Hose in die Höhe und entblößte das Bein. Dann zeichnete er mit aller Sorgfalt die Symbole so auf die entsprechende Stelle seiner Haut, dass sie exakt den Zeichen auf dem Bein des Eismannes entsprachen.

     
    Als er damit fertig war, warf er den Filzstift beiseite, schob das Hosenbein nach unten, stand auf und ging hinüber an die Tür. Ein letztes Mal hielt er im Dunkeln inne.
    BESCHÜTZE UNS, DIEWEIL WIR SIE BESCHÜTZEN.
    Dann stahl er sich aus der Blockhütte.
    Die Kälte, der Lärm und die wechselnden Lichter stürmten auf seine Sinne ein. Er ließ sich nicht beeindrucken. Drängte alles weg. Dann hastet er dem Waldrand entgegen.
    Niemand sah ihn nördlich im Dickicht aus Sitkafichten und Birken verschwinden. Und niemand sah ihn in einem großen Bogen zum Ausgangspunkt des Pfades auf der anderen Seite des rauchenden Lieferwagens zurückkehren.
    In der Sicherheit der Schatten, gerade außerhalb der Reichweite der blinkenden blauen Lichter, fand er die kleine rote Fahne, die an einem Metallstab befestigt war und den Anfang des Wanderwegs zum Gipfel markierte.
    Er ging an der Fahne vorbei und begann den Aufstieg.

Kapitel 27
Das Schlüsselloch
     
     
     
    Der erste Streckenabschnitt der Route zum Gipfel des Mount Cairn schlängelt sich durch dichtes Fichtengehölz. Nachts ist es in diesen Wäldern stockdunkel. Bergwandern ist im Dunkeln streng verboten.
    Nach fast fünfundvierzig Minuten suchte Grove sich noch immer den Weg durch die kalte Dunkelheit und kam erstaunlich gut voran. Sein gleichmäßiger Atem stieg in Wölkchen vor seinem Gesicht auf.
    Das Knirschen seiner Stiefel auf dem verharschten Schnee durchbrach die Stille. Für Mitte Mai lag noch ziemlich viel Schnee, und als Grove sich zwischen den Bäumen den Weg bahnte, wünschte er sich, eine Taschenlampe dabeizuhaben. Im Schnee vor ihm schienen sich frische Fußspuren
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