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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
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musste es ablesen: »Kangerlussuaq.«
    »Wie bitte? Haben Sie gerade was im Mund?«
    »Grönland.«
    »Was macht er da?«
    »Besichtigung von Höhenforschungsraketen und einer Hundeschlittenzucht. Sie hatten ihm geraten, sich danach noch mit einigen Umweltleuten weiter in die Arktis zu wagen.«
    »Hm.«
     
    Seit der aufsehenerregenden Vorfälle hatten sich zudem außergewöhnlich viele ausländische Staatschefs gemeldet und Einladungen an die Regierungschefin ausgesprochen. Das konnte kein Zufall sein. Man mochte gar mit dem Gedanken spielen, dass ihnen ebenso nach Nervenkitzel dürstete, aus anderen oder gar denselben Gründen. Und da sie sich ihrer Abenteuerlust bedauerlicherweise nur in der Freizeit hingeben durften, bekam die Chefin diverse Einladungen, die der Diplomatie allein nicht geschuldet sein konnten: Der saudische König wollte mir ihr in der Wüste zelten, der jordanische König sie höchstpersönlich im Kampfhelikopter in die Felsenstadt Petra fliegen, um anschließend noch einen Wracktauchgang in der Bucht von Aquaba zu absolvieren. Der russische Präsident hatte bereits ein Pferd für sie gefunden, um mit ihr zu seinen favorisierten Wildlachsfischgründen zu reiten. Insbesondere auf diese letzte Einladung hatte der MAV eilig seinen »No-go«-Stempel setzen lassen. Austausch der Spioninnen? Man musste mit allem rechnen.
    Als einzige Handhabe zur Stabilisierung der Lage blieb ihm jetzt nur noch ein professioneller Therapeut heimischer |242| Herkunft, Diversity hin oder her, ohne Parteibuch und politische Ambitionen, ein hochqualifizierter Neuropsychologe, der nicht allein auf »endorphine Botenstoffe« und derart flüchtige Dinge wie »Gefühle« vertraute. Man würde ihn geradezu mikroskopisch untersuchen müssen, seine Vita und sein Umfeld zwischen die Glasplatten knallen, bis keine einzige undurchleuchtete Zelle mehr übrig blieb, um ihn anschließend in die engste Umgebung der Regierungschefin einzuschleusen, sozusagen als »embedded Bodyguard«. Er würde ihr nah sein, Tag und Nacht, und sie entweder schnellstmöglich wieder zurück auf genau die Schiene bringen, die sie seit Omsk verlassen hatte, oder ihr aber endgültig das Regieren verbieten. Es würde kein Entrinnen geben. Bis dahin musste man sie eben noch ein wenig mehr herausnehmen aus dem öffentlichen Leben, ob sie wollte oder nicht. Der MAV würde seine ganze Kraft brauchen für das Hinhalten der Nachfolger, die die Welt nicht mehr verstanden.
     
    Ihr Gatte war selbstverständlich informiert worden über diese jüngsten Pläne ihres engsten Beraterkreises, und dieses Mal war ihm nichts anderes übrig geblieben, als dem zuzustimmen. Wenigstens war der Rücktritt vorläufig hinausgezögert, und es gab noch eine Chance, fand er: die Beeinflussung auf privater Ebene, was nicht zu unterschätzen war. Er würde es belassen bei der Herangehensweise des russischen Therapeuten, immerhin war dessen Therapieansatz nicht ohne Erfolge geblieben. Seine Gattin erinnerte die Bootsfahrt fast gänzlich und nachhaltig, sie schien sich mit den Botenstoffen ganz einfach besser zu fühlen als ohne und, so ganz nebenbei, er selbst auch.
    In den folgenden Tagen ging er in die Offensive: Bald hingen überall in ihrer Wohnung Bilder, bis ins Tausendstel |243| genau verpixelte Erinnerungen an gemeinsame Stunden oder Minuten mit den gekrönten Häuptern dieser Erde, den Staatschefs, den Nobelpreisträgern, Mutter Teresa und Arnold Schwarzenegger. Auf einigen war er auch mit drauf. Es mochte ein wenig selbstverliebt wirken für das uneingeweihte Auge, dachte er, aber sie bekamen auch nicht so viel Besuch, als dass man sich hätte sorgen müssen.
    Die erhoffte Wirkung blieb allerdings aus. Irgendwann schlich sie morgens auf dem Weg zum Bad unbeeindruckt vorbei an sich und Tony Blair und hörte auf zu fragen, wer das sei. Er hängte die Bilder wieder ab.
    Er gestaltete seine Versuchsreihen so unauffällig wie möglich, und vieles ließ sich in den eigenen vier Wänden bewerkstelligen: indisches Essen, afrikanische Kunst, italienische Bettwäsche, ein High-Definition-Fernseher, Oper, Techno, ja gar aus Liebe provozierte Streitereien und an Gummiseilen gesicherte Stürze in den Abgrund. Kurzum, sie war auf einem guten Wege, fand er.
     
    Und dann kam die Sache mit dem Supermarkt. Eigentlich hatten nur eine Handvoll getrockneter Chilischoten und ein paar Äpfel gefehlt.
    Gutes Essen hielt Leib und Seele zusammen, und dass man sich über die Geschmacksnerven auf eine
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