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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
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zum PC, ging ins Internet. Die Beiträge waren geradezu euphorisch, kein Hinweis mehr auf Krise, im Gegenteil, sie schien die reinste Volksarmee hinter sich geschart zu haben. Es schien, als habe sie ihnen genau die Bilder geliefert, auf die sie immer gewartet hatten. Er sah sich ein wenig bestätigt in seinem Entschluss, der ihn die letzte Nacht schlaflos hatte zubringen lassen. Aber was war eine Nacht ohne Schlaf gegen ein Leben ohne Gedächtnis.
     
    Dem MAV erging es bei der Pressedurchsicht etwas anders. Das alles sah keineswegs nach Rücktritt aus. Die Redaktionen schienen über Nacht die Fotoquellen überprüft zu haben, und jetzt schrieb man, es seien Bilder für die Seele. So wohlwollend war sie in Szene gesetzt in allen Zeitungen, ob mit oder ohne Chip, egal, man musste zugeben, dass sie eine verdammt gute Presse hatte. Die Schlagzeilen waren |226| besser als die jedes Truppenbesuchs in Afghanistan oder jedes öffentlichen Akkordeonspiels. Es sah so aus, als hätte sie allen Ernstes nun wirklich die Krise in eine Chance verwandelt, als nehme die Öffentlichkeit das Überfahren von roten Ampeln mit fremden Männern vorbehaltlos an, wenn man sie nur mit ein paar mutigen Drehungen auf dem Eis kombinierte. Doch nun war es zu spät, der Rücktritt sollte unmittelbar verkündet werden, alles war äußerst achtsam und verantwortungsvoll in die Wege geleitet worden, und man würde es verstehen, wenn sich erst herumgesprochen hatte, dass sie geleugnet hatte.
    Er betrachtete weiter die Fotos, und bei einem stutzte er dann doch, ging mit den Augen so nah heran, dass die frische Druckerschwärze in seiner Nase kribbelte. Das konnte unmöglich sein. Er nahm die Brille ab und schaute nochmals hin. Der Polizist da neben ihr hielt doch tatsächlich eine Schneekugel in der Hand.
    Der MAV schaute auf die Uhr und griff zum Hörer. Sie würde noch nicht losgefahren sein. Ihr Mann nahm ab.
    »Guten Morgen. Wie sieht es aus? Haben Sie es ihr gesagt?«
    »Ja, schon.«
    »Und wie hat sie es aufgenommen?«
    »Bemerkenswert gelassen, würde ich sagen.«
    »Wunderbar, die Vernunft hat immer schon bei ihr gesiegt. Wahrscheinlich ist sie sogar erleichtert, oder nicht?«
    »Nun ja   …«
    »Hören Sie, würden Sie ihr bitte, bevor Sie sie aus dem Haus lassen, nochmals die Pressemitteilung von gestern vorlesen. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen da jetzt ein wenig zuvorkomme, Sie hätten wahrscheinlich selbst daran gedacht, aber ich will nur sichergehen, dass sie vollumfänglich gebrieft ist.«
    |227| »Das wird keinen großen Unterschied machen, befürchte ich.«
    Dem MAV wurde plötzlich angst und bange. Nun war er wohl tatsächlich ein einziges Mal zu optimistisch gewesen, verdammt. »Was soll das heißen?«
    »Ja, wie soll ich sagen, sie akzeptiert es einfach nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Sie schluckt die Pille nicht. Sie will nicht zurücktreten, hat es vergessen, glaubt mir nicht. Herrje, ich kann sie doch nicht zu Hause anketten! Ich habe es versucht, mehr kann ich nicht tun. Ich bin doch nur ihr Mann!«
    Das war der absolute GAU.   Alles war bereit, nur sie nicht. Oder eben doch, je nachdem, wie man es betrachtete. Der MAV brauchte Zeit, um die Ausmaße dieser neuen Faktenlage in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Dann hörte er ein »Oh, Gott« und eine Tür, die am anderen Ende der Leitung zugeknallt wurde. Es war offenbar nicht einmal Zeit geblieben für ein Wort oder einen Tastendruck, der Gatte war einfach davongestürmt. Der MAV sah den Hörer an wie einen Fernseher. Aber es kam kein Bild. Das kam circa zwanzig Minuten später auf allen Kanälen.
     
    Es war bereits zu spät, sie war nicht mehr aufzuhalten gewesen. Geduld war ihre Stärke nicht, sie konnte es nur gut nach außen kaschieren. Sie war einfach aus dem Haus gestürmt, auf der Suche nach Erinnerungen für ihren Hippocampus. Und die besten Lieferanten dafür standen bereits mit Kamera und Übertragungswagen vor der Haustür.
    Es gab kein Zurück mehr, sie wollte auch nicht mehr zurück, sondern nur noch nach vorne. Volles Risiko also. Und die Leute da draußen stürzten sich auf sie, fielen mit der Tür ins Haus: »Was sagen Sie zu den Bildern an der Ampel? Da gibt es doch nichts zu leugnen, oder?«
    |228| Sie stieg langsam die Treppen hinunter und blieb mitten im Journalistenpulk stehen. Es war die reinste Pressekonferenz, und ihr Mann konnte nur noch die Gardine beiseiteschieben und fassungslos zuschauen, wie ihr eleganter schwarzer Seidenschal über dem
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