Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
Vom Netzwerk:
grünen Blazer die Mikrofone umflatterte.
    Mist, dachte sie, das mit der Ampel war privat, und sie sagte: »Die Fotos sind schön geworden, nicht wahr? Und ich kann mich sogar schon ein wenig daran erinnern.«
    »Gestern wurde noch dementiert. Und jetzt treten Sie hier vor die Kameras. Ändert die Regierung so schnell ihre Meinung?«
    Nun war sie drin in der Falle, und wieder fehlte ihr wohl ein entscheidendes Puzzleteil, wie ärgerlich. Sie lächelte in die Kameras: »Meine Herren, für diese Stellungnahme bedurfte es keiner Aufforderung, und die gab es auch nicht. Wer dementiert hier denn?«
    »Ihr Regierungssprecher natürlich. Lesen Sie Ihre eigenen Pressemitteilungen nicht?«
    Jetzt half nur eines: »Ich würde vorschlagen, Sie lesen uns das gute Stück vor, damit wir alle dieselbe Ausgangslage haben.«
    Es setzte geschäftiges, fahriges Kramen in zerknitterten Unterlagen ein, die man entweder unter die Arme geklemmt oder klein gefaltet in Sakkotaschen gesteckt hatte, dann erhob sich eine Stimme und las tatsächlich vor, bis zum letzten Satz: »…   aber fahre ich deswegen gleich mit dem Motorrad über rote Ampeln?«
    Diese Schweine, dachte sie, unterbrach an dieser Stelle und sagte: »Ja.«
    »Wie bitte?« Keiner sprach es aus, aber es stand in den Gesichtern. Es war erstaunlich, dass man diese abgebrühten Menschen immer noch überraschen konnte wie die |229| Kinder. »Hören Sie, ich würde Sie bitten, sich in Zukunft ein wenig besser auf Gespräche mit mir vorzubereiten und unsere Pressemitteilungen etwas aufmerksamer zu lesen. Hier handelt es sich um eine Frage. Und die Antwort darauf werde ich Ihnen selbstverständlich nicht vorenthalten.« Sie versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Das Sicherheitspersonal war bereits neben ihr. »Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Im nahen Osten brennen die Straßen, Saudi-Arabien hat die Blackberry-Dienste ausgeschaltet, soweit ich das gerade gesehen habe.«
    Sie hatte geahnt, dass das nicht reichen würde, und eines der Mikrofone traf ihre Nase. »Für Sie scheint die Wahrheit ja ein recht dehnbarer Begriff zu sein, mit Verlaub.«
    Das war eine Unverschämtheit, fand sie. Die Hitze kam wieder, und sie boxte ihm mit der Faust ins Mikrofon, bevor sie hineinsprach: »Seien Sie vorsichtig mit der Wahrheit! Sie ist ein kostbares, fragiles Geflecht und durchaus verzwickter, als Sie glauben. Man verliert sie schnell aus den Augen, kann ich Ihnen sagen. Ich selbst bin ja auch ständig auf der Suche danach.«
    Es kam Unruhe in die Masse, Blackberrys wurden gecheckt, Mitteilungen hektisch verschickt, noch während man lautstark kommentierte. Die Sicherheitsbeamten orderten Verstärkung, was ihr nun gar nicht einleuchtete. Noch schien hier nichts zu eskalieren.
    »Wollen Sie sich über uns lustig machen?«
    »Sehe ich etwa so aus, als machte ich mich über Sie lustig?«
    Ja, man fand, dass sie genauso aussah. »Hören Sie«, rief einer der Journalisten, »die Frage ist doch, ob Sie Konsequenzen ziehen. Die Wahrheit haben wir doch von Anfang an gekannt. Und was ist mit den Moskauflügen?«
    Sie kam auf ihn zu, inspizierte ihn ein wenig mit den |230| Augen. »Die Wahrheit? Kennen Sie sie? Verraten Sie mir, wo sie steckt? Ich würde alles dafür geben, sie zu finden, glauben Sie mir.« Ihrem Gegenüber verschlug es die Sprache, und sie gab ihm den Rest: »Ich bewundere Sie, ehrlich, in Ihrem Bewusstsein scheint ja ein phänomenal objektiver Zustand zu herrschen. Sie sollten ins Juristische wechseln.«
    Schallendes Gelächter, man konnte sich nicht mehr zurückhalten. Was war bloß mit ihr los in letzter Zeit?
    »Also doch kein Rücktritt?« Irgendjemand weiter hinten hatte das Wort endlich nach vorne gebrüllt.
    Sie lächelte. »Jetzt macht’s mir erst mal Spaß, und dabei belassen wir’s vorerst. Im Augenblick können Sie ganz fest davon ausgehen, dass Sie mich morgen wiedersehen werden und übermorgen auch. Wenn Sie Verantwortung haben, haben Sie Verantwortung.«
    Sie ließ sich ihren Weg zum Wagen bahnen. Wenn man es im rechten Licht betrachtete, konnte man ihr noch nicht einmal einen Meinungswechsel vorwerfen, darüber hinaus wäre es wohl recht leer gewesen in den Redaktionen, wenn das Überfahren von roten Ampeln auf einem Motorradsozius mit Jobentzug geahndet würde. Da gab es wahrlich Schlimmeres.
     
    »Die Chefin funktioniert nun gar nicht mehr, was?« Die Büroleiterin konnte sich den Kommentar nicht verkneifen, als der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher