Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
Vom Netzwerk:
einfällt. Wer kommt denn auf so was?«
    Der Regierungssprecher fühlte sich angesprochen und versuchte, ihn zu beruhigen: »Aber es kann doch auch nicht schaden. Sehen Sie«, er nahm ein Glas, »Wasser hat durchaus etwas Neutrales, Ursprüngliches und geradezu Christliches. Denken Sie an Petrus, den Fischer, an den See Genezareth, an Johannes, den Täufer! Ein hochrangiger Kirchenmann im selben Boot mit einer hochrangigen Politikerin. Die Idee ist doch genial.«
    »Ich bin evangelisch.«
    Doch der Regierungssprecher hatte die Schlagzeile bereits vor Augen: »Gemeinsam das Ruder herumreißen.«
    Der MAV schlug mit der Faust auf den Tisch: »Herrje, verstehen Sie denn nicht? Wir müssen handeln! Wir haben potentielle Nachfolger in Stellung gebracht. Noch nicht einmal die Opposition wagt sich noch mit Rücktrittsforderungen nach vorne. Aber unser neues Ziel heißt eben Rücktritt, verdammt noch mal, nicht das Gegenteil davon.«
    »Wie soll das gehen, wenn sie es nicht will und niemand von ihrer Amnesie erfahren soll?«
    »Schlechte Presse zur Abwechslung mal?«
    »Das können Sie nicht wollen.«
    »Nur, weil eine Zeitung so schreibt, muss das Volk nicht unweigerlich so denken.«
    »Wer hochgeschrieben wird, lässt sich auch schnell niederschreiben. Nur mit dem Mittelmaß wird das schwieriger. Aber das haben wir schon längst verlassen.«
    »Es ist doch für ein höheres Ziel.«
    Man hatte die Schlagzeile bereits vor Augen: »Verkehrssünderin sucht jetzt kirchlichen Beistand.«
    Man fand nichts Besseres. Ein unschätzbarer Vorteil war zugegebenermaßen die Tatsache, dass man die Regierungschefin |237| nicht aufwendig briefen musste, da sich in der Firma ihres Rudergenossen keine allzu großen Veränderungen vollzogen hatten in den letzten fünfhundert Jahren.
    Sie kam sich schon ein wenig überrumpelt vor, als man ihr erklärte, man wolle sie zusammen mit der Kirche in ein Boot setzen. Aber sie sei keine dieser um Spiritualität bemühten Frauen, gab sie zu bedenken, doch sie wusste natürlich, wie Politik funktionierte: Man musste das Spiel der Jungs mitspielen, nett und gesellig sein, auch wenn man sie am liebsten alle zum Teufel gewünscht hätte, weil man mehr Manns war als sie alle zusammen.
     
    Es war dann doch ein schöner, milder Herbsttag geworden, und das Boot glitt leicht und sanft durchs Wasser, sogar die Natur ließ sich für dankbare Fotomotive einspannen. Vom Aus- und Einsteigen in das Boot würde es keine Bilder geben, so hatte man beschlossen, denn es hätte wackeln können – oder gar eine der beteiligten Personen selbst.
    Sie hatte nicht weit gefahren werden müssen bis zum See, und auch der Kirchenvertreter ihr gegenüber im Boot sah nicht so aus, als habe er eine entbehrungsreiche Anreise oder ein ebensolches Leben gehabt. Er war für einen Mann in seiner Position noch recht jung, fand sie, vielleicht Anfang sechzig, und er zog die beiden Ruderpaddel beherzt durchs Wasser. Ausgeruht und sportlich waren sie geblieben, die Männer der Kirche, dachte sie, als sie ihm zulächelte und sich darüber amüsierte, dass er ihr mit jeder Ruderbewegung vorübergehend näher kam, als ihm wohl lieb war.
    Er war nett, sehr nett sogar, sehr eloquent, durchaus intelligent, auch den weltlichen Dingen zugewandt, denn seine erste Frage war: »Gibt es hier Mikrofone?«
    Sie schaute ins Wasser. Nein, versicherte sie ihm, die Veranstaltung heiße zwar »Dialog«, aber es komme wohl vielmehr |238| auf die Bilder an, sonst hätte man diesen ungewöhnlichen Ort doch wohl nicht vorgeschlagen, nicht wahr?
    Er lächelte zurück, und einen Moment lang widmete man sich der allgemeinen Reflexion über das Wetter. Er ähnelte ihr ein klein wenig, dachte sie bei sich, denn wenn man die Überzeugung zum Beruf machte und sich damit in die Mühlen einer Organisation begab, blieb einem nichts anderes übrig, als mit der Zeit ein wenig zurückzurudern. Nachdem man anschließend den mangelnden akademischen Nachwuchs und den gleichzeitig hohen Anteil von Frauen unter den Hochschulabgängern der Natur- und Geisteswissenschaften erörtert hatte, war ihrem Ruderer plötzlich die Puste ausgegangen. Er schien das Thema auch nicht mehr vertiefen zu wollen. Sie blickte an ihm hinunter und entdeckte erst jetzt unter der unauffälligen Fliesdecke, die sie beide über den Beinen liegen hatten, dass er ein unförmiges Gestell am Fuß trug.
    »Um Gottes willen, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Sie sind ja gar nicht voll
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher