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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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schon so oft dieselben Meldungen im Fernsehen
gehört, dass sie völlig abgestumpft waren. Man wartete
noch auf Ärzte aus Angmagssalik, weshalb sie sich mit weiteren
Nachrichtensendungen zufriedengeben mussten. Die Ärzte wollten
sich nämlich erst mit ihren Kollegen im Krankenhaus von Nuuk
beraten, da möglicherweise eine gefährliche Seuche
ausbrechen könnte. Erst in diesem Moment geriet die Gruppe
wirklich in Panik, zumal sie erfuhr, dass Bjarki und Halldór
vermutlich an der Spanischen Grippe gestorben waren.
    »Sie wissen es nicht
genau. Sie müssen die Viren erst mit Viren abgleichen, die
neulich in Alaska im Grab einer Frau gefunden wurden, die vor sehr
langer Zeit an dieser Krankheit gestorben ist. Sie war in
Dauerfrostboden begraben. Bisher sind solche Viren nicht entdeckt
worden, weil die Leichen der Opfer in der Erde verrottet sind. Es
ist sehr selten, dass Leichen, wie hier, jahrzehntelang eingefroren
sind.« Finnbogi beobachtete, wie sein Kollege leicht auf
Alvars Venen klopfte. »Der Ausbruch der Seuche stimmt genau
mit dem Zeitpunkt überein, als die ersten Siedler gestorben
sind, und die Symptome passen zu den Beschreibungen der Krankheit
der Bohrmänner. Wahrscheinlich hat der Arzt oder sein
Begleiter bei der Kontrollfahrt damals im Winter die Siedler
angesteckt. Isolierte Gegenden wie diese sind ja ein fruchtbarer
Nährboden für ansteckende Krankheiten, und die Spanische
Grippe war eine sehr gefährliche Seuche, die eine so
abgeschiedene kleine Siedlung mit Leichtigkeit hätte ausmerzen
können. Vor allem, weil die Jagd die Lebensgrundlage der Leute
war. Wenn Menschen erkranken, sterben oder arbeitsunfähig
werden, verändern sich die Bedingungen in einer so kleinen
Gemeinschaft schlagartig. Einige Siedler müssen an der
Krankheit gestorben und andere verhungert sein. Diese Form der
Grippe setzt den Jungen und Gesunden viel mehr zu als den Alten und
Kindern.« 
    »Das ist wirklich
unglaublich.« Eyjólfur drückte immer noch das
Baumwollläppchen auf die Einstichstelle. »Dass eine so
alte Krankheit plötzlich wieder ausbrechen kann. Als
hätten wir nicht schon genug neue Seuchen.«
    »Keiner sagt, dass sie
ausgebrochen ist.« Finnbogi warf dem anderen Arzt einen Blick
zu, aber der versuchte noch nicht einmal, dem Gespräch zu
folgen. »Diese beiden Männer mögen sich infiziert
haben, aber sie hatten auch viel engeren Kontakt mit der Leiche als
wir. Ihr habt das Loch im Brustkorb ja nicht alle gesehen, aber es
muss ganz schön heftig gewesen sein, als sie die Leiche
durchbohrt haben. Sie dürften dabei Spritzer von
Körperflüssigkeiten abbekommen und Bakterien eingeatmet
haben.«
    »Muss derjenige, der
Halldórs und Bjarkis Leichen zerstückelt hat, nicht
auch untersucht werden?«, fragte Eyjólfur. »Der
muss doch auch voller Blutspritzer gewesen sein.«
    »Es infiziert sich nicht
jeder, aber der Mann wird bestimmt auch untersucht. Falls es sich
um den jungen Mann handelt, der mit uns im Hubschrauber saß,
dann ist er genauso gesund wie wir. Wer sich infiziert hat,
erkrankt sehr schnell. Wahrscheinlich hat er noch mal Glück
gehabt. Die Leute lagen oft schon nach vierundzwanzig Stunden im
Sterben, deshalb ist die Polizei wohl auch auf diese Krankheit
gekommen, die Bohrmänner sind ja sehr schnell
gestorben.«
    »Und sie haben ihn einfach
zu uns in den Hubschrauber gesetzt?« Friðrikkas Stimme
wurde immer schriller. »Wir haben fast eine Stunde lang
dieselbe Luft eingeatmet!«
    »Wir sollten jetzt nicht
in Panik geraten. Noch gibt es bei uns keinerlei
Krankheitssymptome«, sagte Finnbogi bestimmt. »Lasst
uns über was Netteres reden. Wenn wir uns jetzt den Kopf
zerbrechen, ändern wir auch nichts.«
    Eine Weile herrschte Schweigen.
»Warum soll dieser Typ Oddný Hildur umgebracht haben?
Ist der total durchgeknallt? Hat er sie vergewaltigt oder
was?«, fragte Eyjólfur.
    »Sie wurde nicht
vergewaltigt!«, herrschte Friðrikka ihn an.
    »Mit dir hab ich nicht
gesprochen! Was weißt du denn schon davon?«, entgegnete
Eyjólfur barsch.
    »Frauen werden nicht mit
allen Klamotten vergewaltigt! Ihre Leiche war vollständig
bekleidet, falls du das vergessen haben solltest«, schrie
Friðrikka.
    Der dänische Arzt drehte
sich stirnrunzelnd um, und Dóra fiel ihnen brüsk ins
Wort. Sie wollte nicht, dass die Gruppe getrennt und jeder in ein
Einzelzimmer gesperrt würde. Immerhin verging die Zeit
schneller, wenn man nicht alleine aus dem Fenster auf die
zugefrorene Bucht unterhalb des Orts starren
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