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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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umgedreht
hatte. Dabei konnte Igimaq ihr Gesicht sehen. Er dachte, die Frau
würde ewig da stehen bleiben, aber dann hat sie die Leiche zu
den Häusern geschleift und unter einem von ihnen
versteckt.«
    »Haben Sie Frau gesagt?
Meinen Sie das Opfer oder den Mörder?«
    »Die Mörderin. Igimaq
hat gesagt, es war eine Frau.«
    Dóra bedankte sich
herzlich bei Oqqapia und sagte, die Polizei würde sich
bestimmt bald mit ihr in Verbindung setzen.
    Friðrikka war ein seltsamer
Mensch. Während sie im Camp waren, hatte sie sich wie ein
Fähnchen im Wind gedreht, war völlig überfordert
gewesen, aber jetzt, da alles vorbei war, wirkte sie stark und
überlegen. Wieder fielen Tränen, aber Friðrikka brach
nicht zusammen. Dóra hatte ihr angeboten, sie beim
Polizeiverhör zu unterstützen, bis ein anderer Anwalt
gefunden war.
    Arnar Jóhannesson hatte
Friðrikkas Leben zerstört, und sie hatte die Kontrolle
verloren. Sie konnte nicht richtig erklären, ob sie den Mann
hatte umbringen oder nur verletzen wollen. Dóra hatte den
Eindruck, dass sie es selbst nicht wusste. Der Hass hatte sie
einfach überwältigt. Friðrikka hatte Arnar schon
lange für ihre Scheidung verantwortlich gemacht. Er war damals
zu ihr gekommen, um reinen Tisch zu machen. Das gehörte zum
Zwölf-Punkte-Programm seiner Therapie. Er hatte ihr
eröffnet, dass er ein Verhältnis mit ihrem Mann gehabt
hatte, etwa zu der Zeit, als dieser sich als schwul geoutet hatte.
Die beiden hatten sich bei der Betriebsfeier von Bergtækni
kennengelernt, und Arnar hatte direkt gesehen, dass der Mann unter
falscher Flagge segelte. Er war betrunken gewesen und hatte nichts
dabei gefunden, den Ehemann seiner Kollegin zu verführen. Als
er dann sein Leben neu geordnet hatte, war ihm klargeworden, dass
er ihr Vertrauen missbraucht hatte, was ihm unter normalen
Umständen wichtiger gewesen wäre als das Vergnügen
einer Nacht. Aus dem Verhältnis der beiden Männer war
zwar nicht mehr geworden, aber Friðrikka hatte einen Schuldigen
gesucht, auf den sie ihre Enttäuschung und Wut richten konnte.
Sie hatte Arnar gehasst, und als ihre Freundschaft mit Oddný
Hildur auch noch daran zu zerbrechen drohte, war sie
ausgerastet.
    Die beiden Frauen hatten sich
wegen des Mobbings heftig gestritten. Oddný Hildur hatte
ihrer Freundin mangelnde Zivilcourage vorgeworfen, weil sie sich
nicht für Arnar eingesetzt hatte. Friðrikka hatte
niemandem anvertraut, was Arnar ihr angetan hatte, und konnte den
Anschuldigungen ihrer Freundin nichts entgegensetzen. Ihre
halbherzigen Verteidigungsversuche machten es nur noch schlimmer,
und als sie an dem Abend zum Bürogebäude ging, wollte sie
sich ein für alle Mal rächen. Arnar hatte nach dem
Abendessen noch rübergehen wollen, während Oddný
Hildur nichts davon gesagt hatte. Friðrikka hatte in ihrer
Wohnung über ihrem Plan gebrütet und an einem gewissen
Punkt, den sie nicht mehr klar benennen konnte, war sie
aufgestanden, hatte sich angezogen, sich in den Wagen vor dem
Bürotrakt gesetzt und auf Arnar gewartet. Sie war wie
hypnotisiert gewesen, hatte an nichts gedacht. Die Würfel
waren gefallen. Friðrikka erinnerte sich daran, in der
Nähe des Autos einen Schlittenhund gesehen zu haben, war aber
zu aufgewühlt, um weiter darüber nachzudenken. Sie hatte
den Hund hinters Haus laufen sehen, und kurz darauf war das Licht
in Arnars Büro ausgegangen.
    Dann lag das Haus im Dunkeln.
Die Außentür ging auf, Friðrikka stieg aus dem Wagen
und schloss leise die Tür hinter sich. Sie sah, wie Arnar
gegen den Wind ankämpfte. Sein Gesicht war vom Auto abgewandt,
und er bemerkte sie erst, als es zu spät war. Friðrikka
ließ den Geologenhammer auf Arnars Hinterkopf prallen. Sie
spürte nichts – keine Befriedigung, keine Angst. Beim
ersten Schlag spürte sie nichts und beim zweiten Schlag auch
nicht. Dann stieß sie Arnar mit dem Fuß an, so dass er
auf den Rücken rollte, und bemerkte ihren Fehler. Da erst
wurde sie von Gefühlen überwältigt. Sie ließ
sich auf die Knie fallen und schüttelte ihre Freundin.
Friðrikka beschrieb mit leiser Stimme, wie ihr klargeworden
war, dass Oddný Hildur tot war und dass die Tränen, die
aus den starren Augen ihrer Freundin rannen, nur geschmolzene
Schneeflocken waren. Panik ergriff sie, und sie beschloss, die
Leiche unter ihrem Haus zu verstecken. Dadurch wollte sie Zeit
gewinnen, um ihre Lage zu überdenken. Sie schaufelte den
Schnee beiseite, zerrte die Leiche unters Haus und schob den Schnee
wieder darüber.
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