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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit
Autoren: Jodi Picoult
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wurde.« Er ließ den Blick über die zwölf Männer und Frauen gleiten, die ihn ansahen. »Sprechen Sie heute für dieses Neugeborene«, sagte er.
    George Callahans Vater, der einige Jahrzehnte zuvor viermal hintereinander zum Bezirksstaatsanwalt von Bucks County gewählt worden war, hatte seinem Sohn mit auf den Weg gegeben, daß es in jeder Anwaltskarriere einen großen Fall gab, mit dem er sich für alle Zeiten einen Namen machen konnte. Bei Wallace Callahan war es die Überführung dreier weißer Collegestudenten wegen der Vergewaltigung und Ermordung eines kleinen schwarzen Mädchens zur Zeit der Bürgerrechtsproteste gewesen. Bei George würde es Katie Fisher sein.
    Er spürte das genauso deutlich, wie er es immer in den Knochen spürte, wenn es am nächsten Tag Schnee gab. Die Geschworenen würden Katie für schuldig erklären. Herrje, sie hatte sich schließlich selbst für schuldig erklärt. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Geschworenen noch vor dem Abend eine Entscheidung fällen würden.
    Er zog sich seinen Trenchcoat an, nahm die Aktentasche vom Boden und stieß die Tür des Gerichtsgebäudes auf. Sogleich strömten Reporter und Kameraleute auf ihn zu. Er lächelte in die Kameras und beugte sich zu dem Wust von Mikrofonen vor, die ihm unter das Kinn geschoben wurden.
    »Möchten Sie einen Kommentar zu dem Fall abgeben?«
    »Haben Sie eine Ahnung, wie die Geschworenen entscheiden werden?«
    George lächelte und ließ genüßlich die zurechtgelegten Worte vernehmen. »Das wird ein eindeutiger Sieg für die Anklagevertretung.«
    »Ich bin absolut sicher, daß die Verteidigung gewinnen wird«, sagte Ellie zu der kleinen Gruppe von Reportern, die sie auf dem Parkplatz des Gerichts abgefangen hatten.
    »Glauben Sie nicht, daß Katies Geständnis es den Geschworenen schwermachen wird, sie freizusprechen?« rief eine Reporterin.
    »Ganz und gar nicht.« Ellie lächelte. »Katies Geständnis hatte nichts mit der komplizierten Urteilsfindung zu tun, sondern ausschließlich mit den moralischen Verpflichtungen ihrer Religion.« Sie drängte sich höflich, aber bestimmt durch die Reporter.
    Coop, der auf sie gewartet hatte, ging mit ihr zu Ledas blauer Limousine. »Vielleicht sollte ich besser hierbleiben«, sagte sie. »Es ist gut möglich, daß die Geschworenen schon bald zurückkommen.«
    »Wenn du bleibst, wird Katie sich vor dem Ansturm der Leute nicht retten können. Du kannst sie nicht in einem Besprechungszimmer einschließen.«
    Ellie nickte und schloß die Wagentür auf. Leda und Katie und Samuel warteten bereits am Hintereingang des Gebäudes.
    »Na jedenfalls«, sagte Coop. »Glückwunsch.«
    Sie schnaubte. »Dafür ist es noch zu früh.«
    »Aber du hast doch vorhin gesagt, daß du gewinnen wirst.«
    Ellie schüttelte den Kopf. »Das habe ich«, gestand sie. »Aber die Wahrheit ist, Coop, daß ich mir gar nicht so sicher bin.«

18
Ellie
E inen ganzen Tag später waren die Geschworenen noch immer nicht zu einer Entscheidung gelangt.
    Da ich kein Telefon in der Nähe hatte, veranlaßte Richterin Ledbetter, daß George mir seinen Piepser lieh. Sobald die Geschworenen soweit waren, würde sie mich anpiepsen. Bis dahin konnten wir alle zurück auf die Farm fahren.
    Ich hatte schon öfters erlebt, daß Geschworene sich nicht einigen konnten. Es war unangenehm, nicht nur weil die Möglichkeit bestand, daß der ganze Prozeß noch einmal aufgerollt wurde, sondern auch, weil ich in der Wartezeit von Zweifeln an meiner Verteidigungsstrategie geplagt wurde. Früher, wenn Geschworene sich Zeit ließen, versuchte ich, mich damit abzulenken, daß ich mich mit anderen laufenden Fällen beschäftigte. Ich ging ins Fitneßstudio und verausgabte mich bis zur Erschöpfung, um mein Denken auszuschalten. Ich sprach mit Stephen den Fall noch einmal durch, um zu sehen, was ich hätte anders machen können.
    Jetzt war ich von den Fishers umgeben – für die zwar vieles von der Entscheidung der Geschworenen abhing, die sich aber völlig unbekümmert gaben und so weitermachten wie bisher, obwohl eine so wichtige Entscheidung bevorstand.
    Achtundzwanzig Stunden nachdem wir das Gerichtsgebäude verlassen hatten, waren Katie und ich dabei, für Annie King, eine amische Frau, die gestürzt war und sich die Hüfte gebrochen hatte, die Fenster zu putzen. Ich beobachtete Katie einen Moment lang, wie sie unermüdlich ihren Lappen in den Putzeimer tauchte und die Scheibe wischte, und fragte mich, woher sie die Kraft nahm, jemand
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