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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit
Autoren: Jodi Picoult
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trat ein, die Hände unter ihrer Schürze. »Ich wollte fragen, ob du Hilfe brauchst.« Sie blickte auf die leeren Kleiderhaken an der Wand und lächelte. »Aber du bist wohl schon so gut wie fertig.«
    »Das Packen war nicht so schwer. Der Abschied wird ein Problem werden.«
    Sarah ließ sich auf Katies Bett sinken, strich den Quilt mit einer Hand glatt. »Ich war dagegen, daß du herkommst«, sagte sie leise. »Als Leda damals im Gerichtssaal den Vorschlag machte, habe ich nein gesagt.« Sie hob das Gesicht, Augen folgten mir, während ich die letzten Sachen verstaute. »Nicht nur wegen Aaron. Ich dachte, du wärst vielleicht so wie die Leute, die ab und zu herkommen und so tun, als wären sie wie wir, weil sie meinen, Friede sei etwas, das man lernen könne.«
    Ihre Finger zupften an einem losen Faden im Quilt. »Ich habe schnell gemerkt, daß du anders bist. Und ich muß zugeben, daß wir mehr von dir gelernt haben, glaube ich, als du von uns hast lernen können.«
    Ich setzte mich neben Sarah und lächelte. »Darüber ließe sich streiten.«
    »Ich verdanke es dir, daß meine Katie hier bei mir bleiben durfte. Das werde ich dir nie vergessen.«
    Während ich der leisen, ernsten Frau lauschte, fühlte ich mich ihr plötzlich eng verbunden. Sie hatte mir eine Zeitlang ihre Tochter anvertraut. Mehr denn je begriff ich nun, was es sie gekostet haben mußte, mir so viel Vertrauen entgegenzubringen.
    »Ich habe Jacob verloren, weißt du, und Hannah. Ich konnte nicht auch noch Katie verlieren. Du weißt, eine Mutter würde alles tun, um ihr Kind zu retten.«
    Meine Hand strich über meinen Bauch. »Ja, das weiß ich.« Ich berührte sie an der Schulter. »Es war richtig von dir, daß du Katie von mir hast verteidigen lassen. Daran darfst du nicht zweifeln, egal, was Aaron oder der Bischof oder sonst wer dazu sagen.«
    Sarah nickte, holte dann unter ihrer Schürze ein kleines Päckchen hervor. »Das wollte ich dir geben.«
    »Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte ich verlegen, weil ich nicht daran gedacht hatte, den Fishers als Dank für ihre Gastfreundschaft ein Geschenk zu machen. Ich riß das Papier auf, und eine Schere kam zum Vorschein.
    Sie war schwer und silberfarben, mit einer deutlichen Kerbe an einer Schneide. Sie war sauber gewischt, doch eine kleine Schlaufe aus Schnur am Griff war dunkel und steif von getrocknetem Blut. Ich dachte, du könntest sie mitnehmen«, sagte Sarah einfach. »Ich kann sie Aaron jetzt nicht mehr zurückgeben.«
    Die Aussage des Gerichtsmediziners schoß mir durch den Kopf, die Obduktionsfotos vom Nabel des toten Babys. »Oh, Sarah«, flüsterte ich.
    Ich hatte meine ganze Verteidigung darauf aufgebaut, daß eine amische Frau außerstande wäre, einen Mord zu begehen. Und jetzt reichte mir eine amische Frau ein Beweisstück, das sie belastete.
    Das Licht im Stall war angelassen worden, weil Sarah die ganze Zeit gewußt hatte, daß ihre Tochter schwanger war. Die Schere, mit der die Nabelschnur durchtrennt worden war, hatte sie versteckt, weil sie voller Blut war. Das Baby war verschwunden, als Katie schlief – und der Grund, warum sie sich nicht erinnern konnte, den Leichnam eingewickelt und versteckt zu haben, war der, daß sie es nicht getan hatte.
    Mein Mund öffnete und schloß sich für eine Frage, die mir nicht über die Lippen kam.
    »Die Sonne, sie ging an dem Morgen so schnell auf. Ich mußte zurück ins Haus, bevor Aaron wach wurde. Ich dachte, ich würde später wiederkommen – aber ich mußte ins Haus. Ich mußte einfach.« In ihren Augen glänzten Tränen. » Ich hatte sie doch in die Welt der Englischen geschickt – und ich konnte sehen, wie sie sich veränderte. Niemand sonst merkte es – nicht mal Samuel –, aber sobald er etwas gemerkt hätte … ich wußte, was dann passiert wäre. Ich wollte doch nur, daß Katie das Leben führen konnte, das sie sich immer vorgestellt hatte – ein Leben hier bei uns allen.
    Aber Aaron hatte Jacob weggeschickt, aus einem weitaus geringfügigerem Grund. Er hätte das Baby niemals akzeptiert … und Katie wäre auch weggeschickt worden.« Sarahs Augen wanderten auf meinen Bauch, in dem mein Kind geborgen war. »Du verstehst das doch jetzt, Ellie, nicht wahr? Ich hatte Hannah nicht retten können, und ich hatte Jacob nicht retten können … ich hatte nur noch eine Chance. So oder so hätte mich wieder ein Mensch verlassen müssen. Also habe ich mich entschieden. Ich habe getan, was ich glaubte, tun zu müssen, um meine
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