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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit
Autoren: Jodi Picoult
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Überwachungsprogramm.«
    Richterin Ledbetter nahm ihre Lesebrille ab und rieb sich die Augen. »Mr. Callahan, wir haben der Gesellschaft gegenüber unsere Schuldigkeit getan, indem wir den Fall öffentlich, vor der Presse, verhandelt haben. Ich sehe keine Veranlassung, die amische Gemeinde noch mehr zu beschämen, als das durch die Aufmerksamkeit der Medien bereits geschehen ist, indem ich eine der ihren ins Gefängnis stecke. Die Angeklagte wird mit Freiheitsentzug bestraft – aber in ihrer privaten Umgebung, was mir für diesen Fall angemessen erscheint.« Sie kritzelte ihre Unterschrift auf die Papiere vor sich. »Ich verurteile Ms. Fisher zu einem Jahr Freiheitsentzug unter elektronischer Überwachung«, sagte Richterin Ledbetter. »Der Fall ist geschlossen.«
    Sie trug das Plastikband unter ihrem Strumpf. Fast acht Monate würde sie es nicht abnehmen können. Es war siebeneinhalb Zentimeter breit, mit einem eingelassenen Sender. Falls Katie Lancaster County verlassen würde, erklärte ihr Ellie, würde es ein Signal aussenden, und der Bewährungshelfer würde sie sofort finden. Katie war offiziell eine Strafgefangene, was bedeutete, daß sie praktisch keinerlei Rechte hatte.
    Aber sie durfte auf der Farm bleiben und weiterleben wie bisher.
    Katie und Ellie gingen durch die Korridore, ihre Schritte hallten in der Stille wider. »Danke«, sagte Katie leise.
    »Nichts zu danken.« Ellie zögerte. »Wir können zufrieden sein.«
    »Ich weiß.«
    »Obwohl es ein Schuldspruch ist.«
    »Das stört mich nicht.«
    »Ja.« Ellie lächelte. »Ich werde wohl auch drüber wegkommen, in zehn Jahren oder so.«
    »Bischof Ephram sagt, daß die Sache für die Gemeinde auch etwas Gutes hatte.«
    »Inwiefern?«
    »So bleiben wir bescheiden«, sagte Katie. »Viel zu viele Englische halten uns für Heilige, und das erinnert sie daran, daß wir auch bloß Menschen sind.«
    Sie traten zusammen nach draußen in den stillen Nachmittag. Keine Reporter, keine Schaulustigen – es würde noch eine Weile dauern, bis die Presse davon Wind bekam, daß die Geschworenen entlassen worden waren und der Prozeß aufgrund einer Einigung zwischen Anklage und Verteidigung ein vorzeitiges Ende gefunden hatte. Katie blieb oben an der Treppe stehen und sah sich um. »So habe ich mir das nicht vorgestellt.«
    »Was denn?«
    »Das danach .« Sie zuckte die Achseln. »Ich habe gedacht, daß ich nach allem, was du im Prozeß gesagt hast, ein bißchen besser verstehen würde, was passiert ist.«
    Ellie lächelte. »Wenn ich meinen Job gut mache, dann wird meistens alles noch unklarer.«
    Eine Brise, die schon die Kälte des Winters mit sich trug, blies Katie die Bänder ihrer Kapp übers Gesicht. »Ich werde nie genau wissen, wie mein Baby gestorben ist, nicht wahr?« fragte sie leise.
    Ellie hakte sich bei Katie unter. »Du weißt, wie es nicht gestorben ist«, erwiderte sie. »Vielleicht muß das genügen.«

20
Ellie
E s ist komisch, wie viele Dinge sich in so kurzer Zeit anhäufen können. Ich war mit einem einzigen Koffer auf die Farm gekommen, doch als ich jetzt meine Sachen packte, paßte kaum noch alles hinein. Ich mußte meinen ersten und vermutlich letzten Quilt verstauen, der eines Tages das Bettchen meines Kindes schmücken würde, den Strohhut, den ich bei der Arbeit auf den Feldern getragen hatte, und auch den schönen flachen Stein, den ich im Bach gefunden hatte, sowie eine Streichholzschachtel aus dem Restaurant, in dem ich mit Coop essen war. Und schließlich waren da noch die Dinge, die in gar kein Gepäckstück passten: Geist, Demut, Friede.
    Katie war draußen beim Teppichklopfen. Sie hatte ihren Strumpf heruntergerollt, um Sarah das Plastikband zu zeigen, und ich hatte ihr genau erklärt, wie weit sie sich damit von der Farm entfernen durfte. Coop würde jede Minute kommen, um mich nach Hause zu holen.
    Nach Hause. Ich würde mich erst wieder daran gewöhnen müssen. Ich fragte mich, wie oft ich noch morgens um halb fünf wach werden und meinen würde, die leisen Geräusche der Männer zu hören, die zum Melken in den Stall gingen. Wie oft würde ich noch abends vergessen, den Wecker zu stellen, in der sicheren Annahme, daß der Hahn mich wecken würde. Ich fragte mich auch, wie es sein würde, wieder fernzusehen. Jede Nacht neben Coop zu schlafen, seinen Arm um mich geschlungen. Ich fragte mich, wen ich als nächstes verteidigen würde, und ob ich noch oft an Katie denken würde.
    Es klopfte leise an der Tür. »Herein.«
    Sarah
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