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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit
Autoren: Jodi Picoult
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Fortschritte, sie lag nicht mehr auf dem Bett im Schlafzimmer, sondern auf der Couch im Wohnzimmer. Sie hatte ein einziges Mal gehen dürfen, als Coop sie zum Gynäkologen gebracht hatte, wo ihr unter Vorbehalt bestätigt wurde, daß wieder alles in Ordnung war. Coop war zur Arbeit gefahren, nachdem er Sarah das Versprechen abgenommen hatte, wie ein Luchs auf Ellie aufzupassen. Aber Sarah war hinausgegangen, um ein Huhn für das Abendessen zu holen – woraufhin Ellie ihrem Status als Pflegefall zum ersten Mal eine positive Seite abgewinnen konnte.
    Ellie schloß die Augen, doch sie war sicher, daß sie ins Koma fallen würde, wenn sie noch eine Stunde mehr schlafen würde. Sie überlegte gerade, mit welchem Argument sie Coop davon überzeugen könnte, daß es besser für sie wäre aufzustehen, als Katie versuchte, sich ungesehen an der Tür vorbeizuschleichen.
    »O nein, von wegen. Komm sofort zurück«, befahl Ellie.
    Katie kam ins Zimmer. »Brauchst du was?«
    »Und ob. Du mußt mich hier rausbringen.«
    Katie machte große Augen. »Aber Dr. Cooper –«
    »– hat gar keine Ahnung, wie es ist, zwei ganze Tage nur herumzuliegen.« Ellie griff nach Katies Hand und zog das Mädchen zu sich auf die Couch. »Ich will ja nicht den Mount Everest besteigen«, bettelte sie. »Nur ein bißchen spazierengehen. Draußen.«
    Katie blickte zur Küche.
    »Deine Mom ist im Hühnerstall. Bitte.«
    Sie nickte rasch und half Ellie aufstehen. »Und du fühlst dich auch wirklich gut?«
    »Ja. Wirklich. Du kannst meinen Arzt anrufen und ihn fragen.« Grinsend fügte Ellie hinzu: »Wenn du ein Telefon hättest.«
    Katie schlang einen Arm um Ellies Taille und ging behutsam mit ihr durch die Küche und zur Hintertür hinaus. Ellie beschleunigte ihren Gang, als sie an dem kleinen Gemüsegarten vorbeikamen. Sie stiegen über die Kürbisranken hinweg, die sich ausbreiteten wie die Arme eines Tintenfisches. Am Teich ließ sie sich mit geröteten Wangen und strahlenden Augen auf die Bank unter der Eiche sinken und fühlte sich so gut wie seit Tagen nicht mehr.
    »Können wir jetzt zurückgehen?« fragte Katie unruhig.
    »Wir sind doch gerade erst gekommen. Ich muß mich doch etwas ausruhen, bevor wir den ganzen Weg zurückmarschieren, oder?«
    Katie sah zum Haus hinüber. »Ich möchte dich aber zurückbringen, bevor jemand merkt, daß du weg bist.«
    »Keine Sorge. Ich verrate niemandem, daß du mich hierhergebracht hast.«
    »Keiner Menschenseele«, sagte Katie.
    Ellie legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen, genoß die Sonnenwärme auf Gesicht und Hals. »Dann sind wir jetzt Komplizen, richtige Verbrecher.«
    »Verbrecher«, wiederholte Katie leise.
    Bei dem traurigen Unterton in ihrer Stimme, horchte Ellie auf. » Katie, ich wollte dich nicht –«
    »Pst.« Katie hielt eine Hand hoch, erhob sich langsam von der Bank und starrte auf den Teich. Einige Stockenten flogen erschreckt auf und ließen einen Sprühregen niedergehen, der die Wasseroberfläche erhellte. Die Abendsonne schimmerte in allen Regenbogenfarben hindurch, und einen Augenblick lang konnte Katie ihre Schwester sehen, wie sie herumwirbelte, eine Ballerina, nicht ahnend, daß ihr jemand zuschaute.
    Genau das würde sie vermissen, wenn sie ins Gefängnis mußte. Ihr Zuhause, den Teich, diese Verbundenheit.
    Hannah drehte sich um, und in ihren Armen hielt sie ein kleines Bündel. Sie drehte sich erneut, und das Bündel bewegte sich … so daß ein winziges rosa Ärmchen zum Vorschein kam.
    Der Sprühschleier verschwand, die Schreie der Enten verklangen in der Ferne. Katie setzte sich neben Ellie, die plötzlich viel blasser wirkte als zuvor. »Bitte«, flüsterte Katie. »Laß nicht zu, daß sie mich wegschicken.«
    Aus Rücksicht auf Aaron parkte Jacob seinen Wagen eine halbe Meile von der Farm entfernt. Er hatte früher so manchen jungen Burschen gekannt, der sich während seiner Rumschpringe ein Auto zugelegt und es dann hinter dem Tabakschuppen versteckt hatte, wo sein Vater es geflissentlich übersah. Jacob dagegen hatte nie einen Wagen besessen. Erst nachdem er für immer weggegangen war.
    Es war ein seltsames Gefühl, die Zufahrt hinaufzugehen. Gedankenverloren rieb er über die Narbe am Kinn, die er sich als Kind zugezogen hatte, als er über eine Rinne im Asphalt gestürzt war. Die Rinne war immer noch da.
    Als er die Stalltür erreichte, holte er tief Luft, um Mut für die letzten Schritte zu fassen. Er lebte schon so lange englisch , und es fiel ihm
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