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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten
Autoren: S Booth
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konnte ihn nicht noch einmal schlagen. Ich konnte doch niemanden schlagen, der verletzt war. Das ist etwas anderes.« Er sah Fry um Verständnis heischend an. Sie ertappte sich dabei, dass sie den Blick nicht abwenden konnte.
    »So war ich schon immer«, fuhr er fort. »Ich habe nie verstanden, wie Onkel Lucas und meine Cousins ein Tier töten konnten, das verwundet war. Lucas behauptete, sie würden es von ihrem Elend befreien, ihm einen Gefallen tun. Aber ich konnte mich nie dazu überwinden, ich konnte nie kaltblütig ein wehrloses Tier töten, ganz egal, wie schwer es verletzt war.«
    »Was haben Sie dann getan?«
    »Ich habe Neils Hand gehalten und gewartet, bis es vorbei war.«
    »Erwarten Sie von uns, dass wir Ihnen das glauben?«, höhnte Hitchens.
    Granger ließ den Kopf hängen. »Er hat lange zum Sterben gebraucht. Aber irgendwann war er tot.«
    Fry sah Hitchens an. Sie wussten beide, dass Philip Grangers
Aussage nicht hundertprozentig mit dem Obduktionsbefund der Verletzungen seines Bruders übereinstimmte.
    Sie gönnten Granger eine kurze Verschnaufpause. Aber Fry hatte noch jede Menge wichtige Fragen auf Lager, die sie ihm stellen wollte.
    »Und nun, Mr Granger, kommen wir zum Thema Emma Renshaw.«
     
     
    Die Wartungsleute in dem Windpark entpuppten sich als Dänen und waren von den Herstellern der Turbinen beauftragt worden, einer auf Windkraft spezialisierten Firma aus Dänemark. Aus der Nähe sah die Anlage völlig anders aus. Die Türme verjüngten sich nach oben hin in elegantem Schwung, aber die massiven Schaufelblätter erinnerten an die Propeller eines überproportional großen Flugzeugs. Beim Anblick der sechs Turbinen musste Cooper an die ominöse Hindugöttin mit den unzähligen Armen denken. Die achtzehn Rotorblätter drehten sich wie weiße Krummsäbel, die durch die Luft über den Pennines schnitten.
    Bei der Fahrt zu dem kleinen Stellplatz neben der Hochspannungsverteilungsanlage bemerkte Cooper, dass die Türme seitlich nummeriert waren. Im Moment standen Nummer fünf und Nummer acht still. Die Rotorblätter waren zu rückgebogen wie Krallen. Die kleinen Türen, die als Einstieg in die Türme dienten, erinnerten an die Schotten in einem U-Boot, und die auf Betonsockel errichteten Türme schienen trotz des Gewichts und der Bewegung der Rotoren kaum zu vibrieren.
    »Hier oben müssten Sie eigentlich genügend Wind haben«, sagte Cooper zu dem Vorarbeiter des Wartungstrupps. »Vielleicht sogar zu viel.«
    »Ja, kommt vor. Aber an den Spitzen der Rotoren sind aerodynamische Bremsklötze installiert. Damit wird vermieden, dass der Richtungsstellmotor und der Generator beschädigt
werden. Und dann gibt es noch hydraulische Scheibenbremsen, die blockieren die Turbinen.«
    »Wissen Sie, was mir an diesen Dingern ein bisschen Angst macht?«
    »Angst? Was denn?«
    »Diese Rotorblätter sind so riesig, völlig überdimensional. Sie scheinen viel zu groß für diese Türme zu sein.«
    »Ja, die Rotoren haben einen Durchmesser von sechsunddreißig Metern«, erklärte der Vorarbeiter. »Und die Türme sind vierunddreißig Meter hoch.«
    »Dann sind sie also länger, als die Türme hoch sind. Das kann doch nur schief gehen.«
    Der Vorarbeiter lachte. »Da kann nichts passieren.«
    Hier oben hatte Cooper eindringlich das Geräusch des Windes im Ohr, das jedoch nicht den Klang der Turbinen übertönen konnte, dieses stete Wuschwusch einer gigantischen Waschmaschine im Spülgang. Nein, eines ganzen Waschsalons voller gigantischer Waschmaschinen. Als er sich dem Turm Nummer eins näherte, konnte Cooper auch das Summen des Motors im Sockel hören, in Abständen auch das metallische Klacken eines Schalters. Und irgendwo lag noch ein gespenstisches Pfeifen in der Luft, das hohe Surren der durch die Luft schneidenden Rotorblätter. Wie eine im Wind singende Geisterstimme. Und da die Turbinen permanent liefen, den ganzen Tag und die ganze Nacht, verstummte dieses unheimliche Pfeifen und Schlagen nie.
    Es war bestimmt ein schauriger Anblick, wenn man im Dunkeln überraschend auf den Windpark stieß und im Licht der Autoscheinwerfer die riesigen weißen Arme erblickte, die sich vor dem nächtlichen Himmel drehten.
    Cooper wandte den Türmen den Rücken zu und schaute hinab auf Longdendale. Aus dieser Höhe betrachtet, glichen die Täler tiefen Wunden im Moor, und es war erstaunlich, dass dort unten tatsächlich Menschen lebten. Im Westen war der
Himmel so dunkel und schwer, dass er kompakter als die Erde
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