Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Titel: Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
doch er kannte nur den einen Trick und bis jetzt hatte er immer funktioniert, also hörte er nicht auf – er verschränkte die Hände miteinander und drückte noch stärker zu. Aber jetzt klammerte ich mich an ihn, Bizeps und die Sehnen an meinen Unterarmen traten unter der Anstrengung hervor, während ich seinen Kopf immer näher an meinen heranzog. Bis unsere linken Wangen aneinander lagen. Dann ruckte ich vor, biss ihm ins Ohrläppchen und riss es mit einer heftigen Kopfbewegung ab. Er schrie auf und versuchte plötzlich, mich wegzustoßen, aber ich hing an ihm fest wie ein Schraubstock und biss ihn abermals, diesmal in die Ohrmuschel. Knorpel knirschten und zerrissen, mein Mund füllte sich mit heißem, nach Kupfer schmeckendem Blut und eine urtümliche Wildheit schoss in mir hoch, als mir klar wurde, dass ich ihn verwundet hatte. Er schrie wieder, verlor das Gleichgewicht und fiel mit mir auf ihm drauf auf den Rücken. Ich spuckte aus, was ich abgebissen hatte, bäumte mich auf und ließ einen Regen von Schlägen auf sein Gesicht herabprasseln. Er hob blindlings und panisch die Arme, um sich zu schützen. Jemand versuchte, mich von ihm wegzuzerren, aber ich riss mich los und warf mich für einen weiteren Angriff auf sein Ohr auf ihn. Diesmal bekam ich es nicht zu fassen – es war zu viel Blut da und zu wenig Ohr übrig –, aber allein die neuerliche Attacke entlockte dem Bären ein entsetztes Kreischen und er wand sich unter mir hervor, während die anderen Kinder mich wegzogen.
    Wir standen beide auf und der Bär wimmerte, die Augen ungläubig aufgerissen, während er mit der linken Hand zitternd nach dem verstümmelten Stumpf an der Seite seines Kopfes tastete. Die zwei Kids, die meine Arme festhielten, ließen michlos und wichen argwöhnisch zurück, als wäre ihnen gerade klar geworden, dass sie sich zu nahe an ein wildes Tier herangewagt hatten. Ich musterte den Bären mit geballten Fäusten, geblähten Nasenflügeln und spürte, wie ein blutiges Lächeln sich auf meinem Gesicht ausbreitete. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und mit einem abgehackten, gequälten Quieksen machte er auf dem Absatz kehrt und flüchtete sich in die Sicherheit der Schule.
    Die Eltern des Bären veranstalteten ein Riesentheater, drohten mit einer Anzeige und ließen kein gutes Haar an meiner Mutter, weil sie ein so kriminelles, brutales Kind großgezogen hätte. Die Schule leitete ein Disziplinarverfahren ein und eine Weile lang sah es so aus, als würden sie mich hinauswerfen. Aber in die Diskussion der Angelegenheit mischten sich die früheren Vorfälle, in die der Bär verwickelt gewesen war, und da er auch noch so viel größer und stärker war als ich, spürte ich in der offiziellen Verwarnung, die letztlich ausgesprochen wurde, einen Hauch von
pro forma
, der sich anfühlte wie ein Freispruch. Irgendwann wurde mir klar, dass es eine Koalition aus frustrierten Lehrern und erbosten Eltern gab, die die Anhörung nur als Mittel zu einem bereits feststehenden Zweck benutzt hatten, weil sie insgeheim sehr zufrieden damit waren, dass der Bär endlich seine gerechte Strafe erhalten hatte. Es war das erste Mal, dass ich so etwas erlebte, aber mit der Zeit begriff ich, dass dieser Vorgang weit verbreitet ist. Er wiederholt sich jedes Mal, wenn eine Regierung einen Untersuchungsausschuss einsetzt, um den letzten Skandal zu vertuschen. Die Aufregung um meinen Zusammenstoß mit dem Bären legte sich bald. Die Chirurgen konnten retten, was von seinem Ohr noch übrig war. Er ließ sich die Haare wachsen, um seine Entstellung zu verbergen, und kam nie wieder in meine Nähe.
    Aus meiner Begegnung mit dem Bären lernte ich zwei Dinge. Das eine war die Bedeutung des Überraschungseffekts. Es spielt keine Rolle, über welche Kräfte, Fähigkeiten oder andere Vorteileder Gegner verfügt, wenn man ihm nicht die Chance lässt, sie einzusetzen.
    Und das zweite: Es gibt immer ein Nachspiel. Nach der Schlägerei war ich nur durch viel Glück großen Schwierigkeiten mit der Obrigkeit entgangen. Man kümmerte sich also besser so um derartige Angelegenheiten, dass einen niemand damit in Verbindung bringen konnte. Den Kampf zu gewinnen, brachte gar nichts, wenn man später nur Nachteile davon hatte, legal oder anderswie.
    Hinter der U-Bahntreppe wandte ich mich nach links auf die namenlose, schmale Straße, in der das
Saboru
lag, mit seiner exzentrischen Berghüttenfassade und einer Fülle von Topfpflanzen davor. Das Tageslicht war noch nicht ganz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher