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Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Titel: Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
Autoren: Barry Eisler
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war ich nicht sonderlich beunruhigt, als ich eines Abends zwei große Weiße in den Zuschauerreihen zusammensitzen sah, die muskulösen Arme auf der Brüstung verschränkt, vorgebeugt wie Aasgeier auf einer Telefonleitung. Ich speicherte sie ab, wie ich reflexartig alles abspeichere, was in meiner Umgebung deplatziert wirkt, ohne erkennen zu lassen, dass ich ihre Anwesenheit bemerkt hatte oder mich für sie interessierte. Stattdessen machte ich weiter
Randori
mit meinem Übungspartner, einem untersetzten Knaben aus einem durchreisenden Collegeteam, dem ich bisher noch keinen Punkt gegen mich gestattet hatte.
    Ich hatte eine Ebene erreicht, wo ich eine bevorstehende gegnerische Attacke fast immer schon einen Sekundenbruchteil vor ihrem Beginn erkannte, sodass ich meine Haltung subtil verändern und sie vereiteln konnte, ohne dass der Angreifer so recht wusste, was er falsch gemacht hatte. Nachdem mein Gegner eineWeile an solchen unsichtbaren Störmanövern gescheitert war, versuchte er häufig, eine Eröffnung zu erzwingen, mit Gewalt einen Wurf anzusetzen, oder er gab sich eine andere Blöße, woraufhin ich je nach Stimmung mit einem eigenen Wurf kontern konnte. Manchmal gab ich mich auch damit zufrieden, lediglich von Abwehr zu Abwehr zu gleiten und den Kampf eher zu vermeiden, als ihn anzunehmen. Es war nicht mehr der Stil meiner jungen Tage, welcher mehr mit Aggression und Draufgängertum zu tun gehabt hatte als mit Eleganz und Effizienz. Als Sprössling eines japanischen Vaters und einer amerikanischen Mutter war ich einmal ziemlich komplexbeladen gewesen. Zwar konnte ich äußerlich als Japaner durchgehen, aber das Erscheinungsbild kommt in Japan nicht gegen Vorurteile an. Tatsächlich richtet sich die größte Feindseligkeit der Gesellschaft gegen Menschen koreanischer Abstammung, gegen
Burakumin
– die Abkömmlinge von Gerbern und Lederarbeitern – und alle anderen, die ihre ›Unreinheit‹ hinter einer scheinbar japanischen Fassade verbergen. Natürlich liegen meine Entwicklungsjahre schon lange hinter mir. Heutzutage, da mein dunkles Haar zunehmend von Grau durchsetzt ist, sehne ich mich nicht mehr nach einem Land, das mich als sein eigenes Kind aufnimmt. Es hat lange gedauert, aber ich habe gelernt, mich nicht mehr auf Kämpfe einzulassen, die man nur verlieren kann.
    Nach dem Körperbau der beiden Besucher zu schließen, ihrem Bürstenhaarschnitt und den
Oakley
-Panoramasonnenbrillen, wie sie von den Spezialeinsatzkräften und ihren Pendants aus dem privaten Sektor bevorzugt werden, hielt ich sie für Militärs, ehemalig oder noch im aktiven Dienst. Das allein war wenig ungewöhnlich: Der Kodokan ist bei amerikanischen Soldaten, Marines und in Japan stationierten Air-Force-Piloten nicht unbekannt. Viele kommen zum Zusehen oder sogar zum Training. Trotzdem, im Zweifelsfall nehme ich lieber das Schlimmste an. Ich ließ mich von dem Collegeknaben mit einem
Tai-otoshi
werfen, einem Körperwurf, den er schon den ganzen Abend versucht hatte. Offensichtlich beherrschte er diese Technik am besten. In meinem früheren Job hatte ich eine Kunstform daraus gemacht, unterschätzt zu werden. Aus der Branche war ich ausgestiegen, die Gewohnheit ließ sich nicht abschütteln.
    Als ich an diesem Abend nach Hause ging, hatte ich meine Wachsamkeit einen Gang hochgeschaltet und war vorsichtig. Ich checkte unauffällig die Orte, wo ich mich versteckt hätte, wenn ich mir selbst auflauern wollte: hinter den Betonpfeilern, die den Ausgang zur Hakusan-dori flankierten, zwischen den geparkten Autos an der viel befahrenen achtspurigen Straße, am Eingang zur Mita-sen U-Bahn-Linie zu meiner Linken. Ich sah nur
›Sarariman‹
-Pendler – der japanische Begriff leitet sich vom englischen ›salaryman‹ für einen Gehaltsempfänger ab –, die ihre Umgebung gar nicht wahrnahmen. Ihre austauschbaren dunklen Anzüge hingen schlaff und zerknittert von der dieselgeschwängerten, feuchten Luft an ihnen dran, die Augenbrauen waren von Schweißperlen gesäumt, aber sie hatten den erleichterten Gesichtsausdruck von Menschen, vor denen ein paar entspannte Stunden liegen, bevor die Firmentretmühle am nächsten Tag wieder losgeht. Ein paar Motorroller düsten mit knatternden Zweitaktmotoren vorüber, aber die Fahrer trugen keine Vollvisierhelme, wie sie von Motorradattentätern bevorzugt werden, und sie beachteten mich überhaupt nicht, wurden nicht langsamer. Eine Frau radelte auf dem Gehsteig an mir vorbei, einen pausbäckigen Knirps in
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