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Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)

Titel: Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
Autoren: Barry Eisler
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Mita-Linie, hauptsächlich bekannt für seine zahlreichen antiquarischen Buchläden. Ich mochte die Gegend unter anderem wegen eines Cafés in der Nähe des Bahnhofs, das passenderweise
Saboru
hieß, das japanische Wort für Faulenzen,Herumgammeln, Schule schwänzen oder sich sonstwie eine Auszeit gönnen. Allerdings würde ich die beiden Riesenkerle nur an dem Café vorbeiführen, nicht hinein. Und die Auszeit, die ich für sie plante, würde länger dauern, als
Saboru
normalerweise implizierte.
    Als der Zug im Bahnhof Jimbocho hielt, stieg ich ohne Eile aus und ging zum Ausgang A7. Ich sah mich nicht um. Das war nicht nötig. Vielleicht waren sie vertraut genug mit Tokio, um zu wissen, wie schnell man das Zielobjekt einer Beschattung zwischen den Scharen von Nachtschwärmern verlieren konnte, oder in den namenlosen, schmalen Gassen eines Stadtteils, der so alt und labyrinthisch war wie Jinbocho. Ihnen würde das Selbstvertrauen fehlen, mehr als eine kleine Lücke zwischen uns zu lassen. In jedem Fall mussten sie nahe genug dran bleiben, um eine Möglichkeit zu ergreifen, wenn sie sich ergab.
    Schon als Kind hatte ich gelernt, mit Schlägertypen umzugehen. Zuerst in Japan, wo kleine Mischlinge wie ich die unfreundliche Aufmerksamkeit größerer Kinder auf sich zogen, für die es zwischen Spaß und Grausamkeit keinen Unterschied gab. Und später, nach dem Tod meines Vaters, in einer amerikanischen Kleinstadt, wo ich ein exotisches, halb asiatisches Kind mit beschränkten Englischkenntnissen und einem komischen Akzent war. Während der ersten Woche auf der amerikanischen Schule, bei der meine frisch verwitwete Mutter mich angemeldet hatte, merkte ich, wie ein viel größerer Junge mich beäugte, ein Fleischklops mit blondem Bürstenschnitt, den die anderen Kinder ›Bär‹ nannten. Wie sich herausstellte, hatte der Bär seinen Spitznamen davon, dass er seine Opfer am liebsten umschlang und halb besinnungslos quetschte, bevor er sie zu Boden warf, um sie nach Lust und Laune zu quälen und zu demütigen. Ich erlebte mit, wie er einem unglückseligen Jungen diese Behandlung angedeihen ließ – der Bär zog ihn an sich, der Kleine versuchte, sich wegzustemmen, aber irgendwann ließenseine Kräfte nach. Der Bär warf ihn zu Boden und prügelte ihm die Scheiße aus dem Leib. Ich vermutete, dass seine Opfer bisher immer so reagiert hatten: Wenn jemand versucht, einen halb tot zu quetschen, ist es nur natürlich, sich dagegen zu stemmen. Es stand also zu erwarten, dass der Bär nicht darauf gefasst sein würde, wenn jemand sich nicht gegen seine Umarmung wehrte. Und sie vielmehr erwiderte.
    Es dauerte nicht lange, bis ich an die Reihe kam. Obwohl mir damals noch der richtige Bezugsrahmen fehlte, erkannte ich die Verhaltensweisen – die abfälligen Blicke und Bemerkungen, die scheinbar unabsichtlichen Rempeleien auf dem Gang –, welche für Schläger auf beiden Seiten des Pazifiks eine Art Vorspiel darzustellen scheinen. Und ich begriff instinktiv, dass diese kleinen Hinweise gleichzeitig taktische Fehler waren, denn sie warnten das zukünftige Opfer. Ich beschloss, selbst nie solche Signale auszusenden, und habe es auch nie getan.
    Auf einer Grasböschung hinter dem mit Unkraut übersäten Baseballfeld der Schule beschloss der Bär schließlich, unsere aufkeimende Beziehung zu vertiefen. Ich hatte ihn lange genug beobachtet, um noch vor ihm selbst zu wissen, dass Ort und Zeit gekommen waren. Als er dann seine Freunde mit dem Ellbogen anstieß und auf mich zeigte, war es beinahe beruhigend, als würde ich einem Schauspieler zusehen, der pflichtschuldigst seine Rolle in einem Drama spielte, dessen Ausgang ich bereits kannte. Er kam heranstolziert und herrschte mich an:
Was glotzt du?
Es entsprach so genau dem, was ich erwartet hatte, dass ich vielleicht schwach gelächelt habe, denn obwohl ich nichts erwiderte, glaubte ich einen Moment lang, einen Anflug von Unsicherheit über sein Gesicht huschen zu sehen, wie den Schatten einer schnell dahinziehenden Wolke. Aber es dauerte nur einen Augenblick, dann beschuldigte er mich abermals, ihn anzustarren. In diesem einen Satz erschöpften sich anscheinend seine kreativen Kapazitäten, denn er streckte die Arme nach mir aus,genau, wie ich es gehofft hatte.
    Während er mich umklammerte und zuzudrücken begann, schossen meine Hände vor, meine Finger gruben sich hinten in seinen Hals und meine Ellbogen stemmten sich gegen seine Brust. Ich spürte, wie er überrascht zurückzuckte,
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