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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Toten auferstanden, hatte – das musste man ihm lassen – ein veritables Abenteuer erlebt und sich so die Belohnung auch verdient. Marxer ließ sich von Oxana nach Hause chauffieren, Sonja Weber neben sich, sie schwieg und gähnte zwischendurch.
    Aber es kam alles anders. Daheim warf sich Marxer in Schlafanzug und Morgenmantel, drehte die Heizung runter, weil zuviel Wärme für die kleinen grauen Zellen nicht gut war, ließ sich von Oxana einen Kakao mit einem Schuss Rum zubereiten, dazu eine Schale mit Salzgebäck, entließ seine Angestellte dann in den Feierabend, den sie – schrecklich köstliche Vorstellung – in den Armen und wer weiß wo sonst noch überall von Sonja Weber verbringen würde. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, schrieb die vermaledeiten Wörter in Großbuchstaben auf ein Stück Papier und starrte sie an. Als er erwachte, fuhr draußen gerade die Zeitungsfrau vor, es war also Punkt halb sechs.
    Nicht einmal den Kakao hatte er getrunken. Er stank ihm jetzt in die Nase und wurde angewidert zur Seite geschoben. Ouzo. Ein Getränk. Das hatte der Killer bestellt und Rath an etwas erinnert. An etwas, das mit dem Killer in keinem Zusammenhang zu stehen brauchte. Natürlich nicht! Aber warum hatte es der Vergiftete dann mit letzter Kraft zu Papier gebracht? Weil es etwas mit dem Fall zu tun hatte. Bis zu welchem Punkt war Raths Billard mit den Dialogen gediehen, bevor er die Toilette aufge sucht hatte, um dort unerwartet sein Leben auszuhauchen? Dieser Kriesling-Schönefärb an der Brottheke. Geldlos. Dann der Killer, der bei der Bedienung einen Ouzo bestellt. Einen Anisschnaps. Anis. Annies. Annie die Abkürzung von Marianne, Marianne. Das französische Nationalsymbol, während der Französischen Revolution als Symbol der Freiheit mit einer phrygischen Mütze dargestellt. Phrygische Mütze? Schnell googeln. »Die phrygische Mütze war dem Ursprung nach ein gegerbter Stier-Hodensack samt der umliegenden Fellpartie. Nach der mythischen Vorstellung der Griechen sollte ein solches Kleidungsstück die besonderen Fähigkeiten des Tieres auf seinen Träger übertragen.« Griechen! Akropolis!

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    Die Person mit der Maske hatte sich eine Mütze aufgesetzt, eine Zipfelmütze ohne Bommel (es gab einen Namen dafür, aber der fiel Vika nicht ein), sah aus wie bei einem Mainzelmännchen oder den Schlümpfen. Vika ignorierte den Kerl (Kerl?) und bewegte sich weiter im Rhythmus des ätherischen Kitsches, der aus den Lautsprechern suppte.
    Einmal war sie kurz aus dem Zug getreten, um zu telefonieren. Maskenfigur hatte ebenfalls das hüpfende Reptil verlassen und stand keine zehn Meter von Vika entfernt. Komm näher und ich hau dich um, versprach Vika insgeheim. Sie war sauer, immer noch Funkstille. Wie lange ging das noch weiter? Kalt war ihr nicht, im Gegenteil. Als streichelten warme Hände vorsichtig über die Haut, nicht unangenehm, Stimulation des Kurzzeitgedächtnisses, Mareike, die Biegsame, Gummiknochen unter einem Gerüst aus festen Muskeln, garantiert fettfrei. Zurück ins Glied, getanzt.
    Maskenmensch hinter ihr. Sie sah ihn nicht, spürte ihn. Hörte ihn ganz nahe am rechten Ohr: »Let's go, sweetheart.« Dann ein Pieks. Wie beim Arzt. Vika riss die Augen auf und kam aus dem Takt. Sie wollte sich umdrehen, der Stich in den Rücken, es tat nicht weh, sie wollte... sie konnte es nicht. Taumelte, jemand ergriff sie, die Musik hallte wie in einer großen Blechkanne, deren Wände aufeinander zu geschoben wurden, eine albtraumhafte Erzählung von Poe, nein, da war es ein schwingendes Beil, das immer näher kommt.
    Dann war die Musik aus. Stille. Nein, keine Stille. Das Pochen des eigenen Blutes. Eine Uhr, die ablief und stehenbleiben würde. Merkwürdigerweise funktionierte das Bewusstsein tadellos, verlor sich nicht in Träumereien. Wo bin ich?, dachte Vika. Oder, bessere Frage: WAS bin ich? Tot oder lebendig? Warten auf den langen gleißenden Tunnel aus vielfach verstärktem Sonnenlicht, das den Augen dennoch nicht wehtut. Nahtoderfahrungen, darüber hatte sie gelesen, dort gab es solche Tunnels, Korridore zwischen dem Leben vor dem Tod und danach.
    Ja, etwas Weißes. Aber von den Rändern drang Schwarz zum Zentrum hin, düstere Wolkenfelder von allen Seiten. Also in die Hölle mit dir, Vika. Dein Leben läuft noch einmal vor dir ab, extremer Zeitraffer, ein Leben voller Sünden, gestohlene Äpfel, zu vielen Menschen ein Leid zugefügt, beabsichtigt oder nicht, das spielte wohl keine Rolle, zu oft auf
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