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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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regeln«, hörte Kirchner einen Mann mit öliger Stimme vom Tisch der Lokalgrößen sagen.
    »So kann es jedenfalls nicht weitergehen«, sagte eine andere, hellere Stimme.
    »Der Radau muss aufhören«, sagte eine dritte. »Am Ende haben wir die Pariser Journaille hier am Hals.«
    »Das mit Le Canon hätte nicht passieren dürfen, das war zu viel.«
    Die Männer schienen über dieselben Dinge zu reden wie die Fischer von der Elise , nur aus anderer Perspektive. Mit »dem Radau« konnte eigentlich nur die Demonstration vom Mittag gemeint sein, mit »Le Canon« vielleicht der überteuerte Hauskauf, von dem die Fischer erzählt hatten. Kirchner würde herausfinden, wer Decayeux war.
    »Wenn Lacombe eingelenkt hätte, wäre er noch am Leben und könnte sich weiter mit seiner kleinen Friseurin vergnügen. Was hat ihn denn eigentlich geritten? Er hat doch sonst auch immer nur mit seinem Schwanz gedacht …«
    Lacombe. Klar und deutlich war der Name des Finanzministers gefallen. Kirchner zwang sich, den Kopf nicht zu wenden und seine innere Aufregung zu verbergen. Er riss sich ein Stück Baguette ab, als wäre nichts, kaute und spülte mit einem großen Schluck Wein nach.
    Decayeux, Lacombe, Friseurin, wiederholte er in Gedanken.
    Diese Männer waren im Bilde, der Tod des Ministers war ihnen geläufig, ein innerer Zirkel hier wusste über alles Bescheid. Er warf unauffällige Blicke zu ihrem Tisch hin, um sich das halbe Dutzend Gesichter nach und nach einzuprägen. Es war die übliche Versammlung hellhäutiger, teigiger Männer, wie sie Frankreichs Beamtenstand zuverlässig seit ewigen Zeiten hervorbringt, gut genährte Typen, gut gekleidet, gut frisiert noch im hintersten Dorf des Landes.
    Die Herrenrunde wandte sich jetzt anderen Themen zu, sodass sich Kirchner seinem Menü widmen konnte. Es gelang ihm aber nicht recht, sich auf das schöne Essen zu konzentrieren, das Gehörte ging ihm nach, sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Er musste sich, weil er die Zusammenhänge noch nicht kannte, im Grunde jeden gesagten Halbsatz möglichst wörtlich einprägen. Ein Detail, das jetzt noch keinen Sinn hatte, konnte später zum entscheidenden Puzzlestück werden, eine Information, die jetzt völlig nebensächlich erschien, konnte später wesentlich für das Verständnis werden.
    Und vielleicht kämen die Herren ja noch einmal auf das Thema zurück?
    Kirchner aß, er trank den Bordeaux, der ihn ein wenig enttäuschte. Er schaute aufs Meer, dessen Grenzen jetzt, schwarz in schwarz, nicht mehr anzugeben waren. Nur ab und an war die Gischt der kleinen Brandung als kleiner heller Streifen in der Dunkelheit zu sehen und markierte den Rand des Strandes.
    Vom Nebentisch fing Kirchner noch einzelne Sätze auf, die ihn hoffen ließen, es würde nun gleich wieder um seinen Fall, um den Finanzminister, gehen, aber dem war nicht so. Die Männerrunde löste sich bald auf, man bezahlte, es wurden Stühle gerückt, die Herren zogen sich nach dem Aufstehen die Hosen wieder zurecht. Nachdem sie das Lokal verlassen hatten, war ringsum bald das Geräusch anspringender Automotoren zu hören. Auch Kirchner bestellte die Rechnung.
    Viel Arbeit wartete auf ihn, er musste ins Bett, um vier Uhr früh schon würde die Elise auslaufen. An einem kleinen Stehpult am Ausgang des Restaurants stieß er auf den Koch, einen kurzen, stämmigen Mann, dem die Brustbehaarung aus dem Kragen einer schwarzen Kochjacke quoll. Er stand über das Reservierungsbuch gebeugt und summte vor sich hin.
    Kirchner schüttelte ihm die Hand, bedankte sich für das Essen und sagte: »Das Fischragout, sagen Sie, täusche ich mich, oder habe ich da eine Spur Koriander geschmeckt?«

IV.
    U m Punkt vier Uhr früh stand Kirchner geduscht, rasiert und in seinen grünen Gummistiefeln am nächtlichen Kai von Arcachon. Er sah ein wenig aus wie verkleidet. Die Elise war klar zum Ablegen.
    Fünf Minuten nach vier Uhr wusste Kirchner bereits, dass Decayeux der Vorsitzende des Austernzüchter-Verbands war, zuständig für alle Züchter im Becken und selbst Inhaber eines der größten Betriebe. Der alte Fischer und sein Enkel hatten die Augenbrauen hochgezogen, als sein Name fiel.
    Jetzt hatten sie mit dem Manövrieren und ihren Arbeitsvorbereitungen zu tun.
    Kirchner stand auf der kleinen Brücke des Kutters und schaute hinaus auf das schwarze Wasser, in dem sich erst flirrend die spärlichen Lichter der Küste spiegelten, dann das graue, flächige Licht eines fast vollen Mondes in sternklarer
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