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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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darfst, wenn du keine Zeile über unseren Fischzug schreibst?«
    »Hab ich verstanden«, antwortete Kirchner. »Wir sehen uns morgen um vier.«
    Er ging zum Landrover zurück und rief die Fotoredaktion an.
    »Ich wollte nur mal durchgeben, dass ich hier in Arcachon unterwegs bin«, sagte er zu Didier Chapon, dem Chef der Abteilung, »ich weiß nicht, ob ihr im Bilde seid.«
    »Was denkst du?«, antwortete Chapon, ein dicker Zigarrenraucher, der sich mit allen Pariser Spitzenköchen duzte. »Henri redet auf den Konferenzen von nichts anderem mehr.«
    »Umso besser. Ich rufe auch nur an, um dich zu bitten, jetzt noch niemanden loszuschicken. Das ist eine heikle Kiste hier, und wenn jetzt noch einer von uns nach Ministerleichen im Meer fragt, dann kommen wir zu nichts.«
    »Ist schon klar«, sagte Chapon schmatzend. »Aber sag mal, Antoine, jetzt mal zu den wesentlichen Fragen: Hast du die Menüfolge für dein Herbstfest schon im Kopf? Ich träume noch immer von den gebackenen Muscheln, die du letztes Mal aufgetischt hast.«
    Kirchner lachte geschmeichelt. »Das wird natürlich eine Überraschung, Didier. Sind ja auch nur noch drei Wochen hin.«
    »Ich kann’s kaum erwarten. Also, du meldest dich, wenn ich hier einen Kollegen aufs Pferd setzen soll. Bis dann.«
    Kirchner legte auf und fuhr an der Küste östlich des Hafens entlang, durch Gujan-Mestras.
    Das Dorf hatte keine erkennbare Form, es war ein großer Haufen Hütten und Schuppen, die sich auf endloser Fläche vorne am Wasser ballten. Abseits der Hauptstraße, wo ein paar hübschere, neuere Gebäude und das alte Rathaus standen, löste sich die Landschaft in Kanäle und Teiche auf. Das Gelände franste sumpfig ins Becken aus, die Wege waren gesäumt von verwitterten Bauten, von denen kaum zu sagen war, ob sie noch genutzt wurden oder schon seit Langem verrotteten. Wilde, dornige Büsche wucherten überall. Spezialgerät der Austernzüchter stand in offenen Verschlägen oder war als Schrott in die Fläche gestreut. In ihrer langen Geschichte hier hatten die Austernzucht und die Fischerei das Land offenkundig in eine Art maritimes Gewerbegebiet verwandelt, mit räudigen Brachen dazwischen, und die ganze Fahrt über war kein Mensch zu sehen.
    Kirchner schaltete das Autoradio ein, France Inter . Es lief eine Talkshow, in der sich Experten über die Rentenreform stritten. Einer zitierte ein Interview des Finanzministers, als wäre nichts geschehen. Auch in den Nachrichten zur vollen Stunde, ein paar Minuten später, fiel kein Wort über ihn und sein Schicksal. Das war gut. Paris schlief noch. Paris hatte noch keine Ahnung von den sensationellen Neuigkeiten, denen Kirchner hier unten auf der Spur war, und er hoffte, dass das noch möglichst lange so bleiben möge.
***
    Für den Abend hatte er sich schon während der Fahrt aus der Normandie einen Tisch im Chez Janine reserviert, dem einzigen Restaurant Arcachons mit einem Michelin-Stern. Das Lokal lag direkt am Wasser, kurz vor der Düne von Pilat. Es befand sich in einem stattlichen weißen Holzhaus, dessen einziges Zimmer auf der Beletage ein heller, gediegener Speisesaal war, der sich auf eine Veranda mit blutroten Markisen öffnete.
    Die Reservierung erwies sich als überflüssig, denn als Kirchner gegen acht Uhr ankam, waren nur wenige Tische besetzt. Auf der Veranda draußen saß eine Gruppe lokaler Honoratioren, und Kirchner ließ sich einen Tisch unweit des ihren geben. Er belauschte gern fröhliche Männerrunden.
    Er ließ den Aperitif aus, bestellte eine Flasche Wasser und studierte die Karte. Schon an der Beschreibung des Menüs konnte Kirchner erkennen, ob der Koch es ernst meinte mit seinem Beruf oder nur ein Blender war. Dieser hier schien sein Handwerk zu verstehen. Er verlor nicht viele, aber die richtigen Worte, arbeitete streng saisonal, hatte dabei einen Schlag ins Südliche, kochte viel mit Tomaten, mit Thymian und Zitronen. Kirchner lief das Wasser im Mund zusammen.
    Unter den Entrees reizten ihn sowohl ein Rebhuhn mit Datteln als auch ein Samtsüppchen gemacht aus Topinambur. Als Hauptgang würde er die Lotte en cocotte nehmen, ein herbstliches Fischragout mit Steinpilzen, dazu eine halbe Flasche Chateau Léoville, Saint-Julien, Rotwein, der Pilze wegen, und weil er Lust auf einen guten Roten hatte.
    Kirchner bestellte. Suppe und Fisch.
    Er schaute aufs Meer hinaus, tat wie ein zufälliger Gast auf Durchreise und horchte den Gesprächen ringsum zu, so gut es ging.
    »Decayeux, du musst das jetzt
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